Gerichtsbeschluss – Soldat dürfte Befehl zur Unterstützung Israels verweigern
Als Yunus Yar sich 2021 für 13 Jahre als Zeitsoldat verpflichtete, glaubte er, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Doch es kam anders, als der 30-Jährige gehofft hatte. Das Personalamt und der Nachrichtendienst der Bundeswehr, der Militärische Abschirmdienst (MAD), warfen ihm angebliche Beziehungen zu türkischen Nationalisten und religiösen Extremisten, sowie rassistische und antisemitische Positionen vor. Im April verweigerte die Bundeswehr ihm die turnusmäßige Verlängerung der Dienstzeit. Im Juni folgte die Entlassung.
WELT AM SONNTAG hatte über den Fall berichtet. Nun entschied das Verwaltungsgericht München, die Bundeswehr habe die Gründe für die behauptete Verletzung von Dienstpflichten „nicht hinreichend belegt“. Vermerke des MAD zeichneten sich durch eine „lückenhafte“ Wiedergabe von Yars Aussagen aus. Die Entlassung sei „rechtswidrig“.
Für die Bundeswehr ist die Entscheidung eine empfindliche Niederlage. Das Gericht kommt in dem 44-Seiten-Beschluss vom 1. September (Aktenzeichen M 21b S 25.4021) aber auch zu einer Einschätzung, deren Bedeutung über den Einzelfall hinausgehen könnte: Ein Soldat dürfte demnach einen Befehl für einen Einsatz zur Unterstützung Israels verweigern – mit Verweis auf sein Gewissen.
Israel bezeichnete der Soldat als „Apartheidsstaat“
Hintergrund ist eine Befragung Yars zum Nahost-Konflikt. Laut Wiedergabe des MAD-Vermerks im Gerichtsbeschluss sagte er darin, Israel betreibe einen „Genozid“, bei dem tausende Unschuldiger ermordet würden. Der Internationale Gerichtshof ermittle „nicht ohne Grund“ gegen Israel. Wenn ein „Apartheidsstaat wie Israel“ einen „Völkermord“ begehe, könne er nicht schweigen. An Hilfsleistungen für die Palästinenser würde er sich beteiligen. Einen Befehl für einen Unterstützungseinsatz nach Israel würde er verweigern.
Das Gericht sah in diesen Aussagen keine Verletzung der Dienstpflicht. Die im Soldatengesetz festgeschriebene Verpflichtung, Befehle „gewissenhaft“ auszuführen, fordere „keinen bedingungslosen, sondern einen mitdenkenden“ Gehorsam. Unter Berufung auf die in Artikel 4 des Grundgesetzes festgeschriebene Gewissensfreiheit dürfe ein Soldat einen Befehl verweigern.
Yar habe in der Befragung durch den MAD zudem zu Recht darauf hingewiesen, dass der Internationale Gerichtshof „die Diskriminierung der palästinensischen Bevölkerung als menschenrechtswidrig“ bezeichnet habe. Es gebe die Ansicht, dass der Gerichtshof den Vorwurf der Apartheid anerkenne. Für eine antisemitische Einstellung Yars lägen keine hinreichenden Anhaltspunkte vor.
Angebliche Verbindungen zu den „Grauen Wölfen“
Auch von den anderen für die Entlassung angeführten Gründe erachteten die Richter keinen einzigen als stichhaltig. Die Bundeswehr hatte beispielsweise behauptet, Yar sei Mitglied eines Bogenschützenvereins mit Verbindungen zur rechtsextremen türkischen Bewegung „Graue Wölfe“ gewesen. Das Verwaltungsgericht führte hierzu aus, der Bogenschützenverein werde nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Erkenntnisse, dass die Ideologie der „Grauen Wölfe“ propagiert worden wäre, lägen nicht vor. Yars Aussage, er habe den Verein nur aus „Spaß am Schießen“ besucht, sei eine „nachvollziehbare und zugleich harmlose Erklärung“.
Auch Verweise auf Besuche in einer als fundamentalistische eingestuften Moschee überzeugten das Gericht nicht. Yars Aussage, er habe die Gebetsstätte allein wegen ihrer Nähe zur Bundeswehr-Universität aufgesucht, sei „nicht von vornherein von der Hand zu weisen“.
Eine Verletzung von Dienstpflichten sah das Gericht auch nicht angesichts von Äußerungen Yars zum Genozid an den Armeniern. Yar hatte dem MAD gesagt, er müsse sich für eine Meinungsbildung erst informieren. Später sagte er, er erkenne den Völkermord voll an. Die Bundeswehr wertete dies als „Schutzbehauptung“ und bescheinigte Yar eine rassistische Einstellung gegenüber Armeniern. Das Gericht befand hingegen, man dürfe Yar nicht vorwerfen, dass er zunächst recherchiert habe.
Das Gericht verwarf auch die weiteren Vorwürfe der Bundeswehr, etwa eine angebliche Unterstützung der BDS-Kampagne zum Boykott Israels, eine Mitgliedschaft in der islamischen BIG-Partei oder Spenden an die islamische Hilfsorganisation „Islamic Relief“. Über eine förmliche Aufhebung der Entlassung könne erst nach einer Anfechtungsklage entschieden werden. Vorläufig müsse die Bundeswehr Yar aber weiter beschäftigen.
Mitarbeiter der Nachrichtendienste verwiesen unabhängig von dem Einzelfall darauf, dass sich personalrechtliche Maßnahmen aufgrund von Geheimdiensterkenntnissen regelmäßig als schwierig erweisen. Die Dienste könnten nicht alle Erkenntnisse offenlegen, etwa weil Vertrauenspersonen oder andere Quellen geschützt werden müssten.
Die Bundeswehr teilte auf Anfrage mit, gerichtliche Entscheidungen nicht zu kommentieren. Yars Rechtsanwalt, Yalçın Tekinoğlu, sagte WELT AM SONNTAG, das Gericht habe klargestellt, dass die für die Entlassung angeführten Informationen „unzureichend, mangelhaft, rudimentär, tendenziös, widersprüchlich und irreführend“ gewesen seien. Yar selbst fordert, die Bundeswehr müsse die Vorwürfe zurückziehen „Das Vertrauen ist weg“, sagt Yar.
Wir sind das WELT-Investigativteam: Sie haben Hinweise für uns? Dann melden Sie sich gerne, auch vertraulich – per E-Mail oder über den verschlüsselten Messenger Threema (BNJMCK4S).
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke