„Drecksarbeit“ für den Westen – Jetzt ist Deutschland in entscheidender Rolle gegen den Iran
Besonders von Deutschland sei man enttäuscht. Diese Botschaft verbreiten iranische Diplomaten derzeit oft. Früher sei Berlin als Vermittler zum Erzfeind USA aufgetreten – aber das sei vorbei, seit Bundeskanzler Friedrich Merz im Juni sagte, Israel erledige mit seinem Angriff auf die Anlagen von Irans Atomprogramm die „Drecksarbeit“ für den Westen. Irans Vize-Außenminister Saeed Khatibzadeh sagte in dieser Woche der „FAZ:“ „Ich bin sicher, Ihr Bundeskanzler schämt sich dafür, wenn er allein im Büro ist.“
Das klingt nicht so, als wenn Teheran nach einer Einigung mit der Bundesregierung strebt, die in diesen Tagen eine ungewöhnlich große Rolle in der Weltpolitik einnimmt. Gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien als sogenannte E3-Staaten kann Deutschland im Rahmen des formell noch geltenden Atomabkommens mit dem Iran entscheiden, ob internationale Sanktionen gegen Teheran massiv verstärkt werden.
Selten hatte Berlin so einen großen Hebel für geopolitische Weichenstellungen in der Hand. Berlin könnte mit einem einfachen Antrag im Sicherheitsrat in New York den sogenannten Snapback-Mechanismus auslösen, mit dem alle seit 2015 ausgesetzten UN-Sanktionen gegen Iran wieder in Kraft treten würden. Damals hatte der Iran im Gegenzug versichert, kein Uran für eine Atombombe anzureichern.
Nimmt man den Bundeskanzler beim Wort, müsste Deutschlands einen harten Kurs wählen. Mit „Drecksarbeit“ meinte Merz die Abwehr gleich mehrerer Bedrohungen durch den Iran, die auch Deutschlands und Europas Sicherheit betreffen: den möglichen Bau einer Atombombe, Unterstützung von Terror-Milizen im Nahen Osten, Waffenlieferungen an Russland für Putins Krieg gegen die Ukraine und Anschläge von Teherans Revolutionsgarden auf jüdische Einrichtungen weltweit.
Aber die Umsetzung gestaltet sich schwierig. Den Europäern bleibt wenig Zeit. Das Abkommen läuft im Oktober aus, im November übernimmt Russland den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat. Die Sorge ist, dass es dann den Prozess torpediert. Über allem steht zudem die Frage, ob UN-Sanktionen gegen den Iran am Ende dazu führen, dass das ohnehin von den USA scharf sanktionierte Regime weiter in die Arme Chinas und Russlands gedrängt wird – und am Ende ohne militärische Intervention trotzdem eine islamistische Atommacht im Nahen Osten entsteht.
Die E3-Länder, darunter Deutschland, haben Iran bis zu diesem Sonntag eine Frist gesetzt, „alle Bedenken“ auszuräumen, dass Teheran auf den Bau einer Atombombe verzichtet. Zentraler Punkt: Das Regime müsse der militärischen Anreicherung von Uran entsagen und offenlegen, über wie viel waffenfähiges Material es bereits verfügt. Westliche Geheimdienste gehen davon aus, dass vor den Luftschlägen Israels und der USA unter anderem auf die Anlagen in Fordo, Isfahan und Natanz viele hundert Kilogramm in Sicherheit gebracht wurden. Im Jahr 2015 wurden die UN-Sanktionen aufgehoben, um Teheran auf diplomatischem Weg von der Bombe abzuhalten. Glaubwürdig war der Iran letztlich nie. Im Jahr 2018 zogen sich die USA unter Präsident Trump aus dem Abkommen zurück und verhängten ihrerseits scharfe Sanktionen. Sollten künftig auch wieder UN-Sanktionen gelten, würden Teherans internationaler Handel und Zahlungsverkehr sowie die Ein- und Ausfuhr von Waffen und deren Bauteile auch nach internationalem Recht einschränkt.
Ein Einlenken Teherans ist nicht in Sicht. Ein Treffen mit Vertretern der E3 am Dienstag dieser Woche in Genf blieb ohne Ergebnis. Wie das Nachrichtenportal Amwaj.media in Bezug auf iranische Quellen berichtet, versuchen Teherans Unterhändler vor allem mit einem Argument Druck auszuüben: Sollte der Iran seine Uran-Vorräte offenlegen, könnte das erneute Angriffe Israels und vielleicht auch der USA nach sich ziehen.
Bedrohliches Szenario
Für diese Eskalation würde man Europa die Schuld geben. Zudem würde sich Teheran vorbehalten, den Bau von atomaren Sprengköpfen voranzutreiben. Das Szenario eines Regimes in Teheran, das kaum noch etwas zu verlieren hat, ist eine wirkungsvolle Drohung gegen die Europäer.
Teheran spielt auf Zeit und lässt nun erstmals nach dem Krieg im Sommer wieder Inspekteure der Internationalen Atomenergiebehörde ins Land. Ein Zugeständnis, das die Europäer zum Abwarten bringen soll. Wobei bezweifelt werden muss, dass die Inspekteure tatsächlich Einblicke in alle Anlagen erhalten.
Westliche Geheimdienste gehen davon aus, dass die Angriffe viele der unterirdischen Anlagen zwar stark beschädigt haben und das Atomprogramm um Monate oder auch Jahre zurückgeworfen wurde, der Iran aber in nicht allzu ferner Zukunft seine Fähigkeiten zum Bau einer Bombe wieder erlangen kann.
Laut einem Bericht des unabhängigen US-Forschungsinstituts für Wissenschaft und Internationale Sicherheit (ISIS) beseitigt der Iran eilig Spuren an einer Atomanlage im Norden Teherans. Damit sollten wahrscheinlich Beweise für eine mögliche Entwicklung von Atomwaffen vernichtet werden, erklärt das Institut. Satellitenbilder zeigten erhebliche Anstrengungen, beschädigte Gebäude schnell abzureißen. Der Mojdeh-Komplex war am 18. Juni bei zwei israelischen Luftangriffen zerstört worden.
Derzeit sieht es danach aus, dass die UN-Sanktionen wieder eingeführt werden. Dann ist vor allem die Frage, wie China reagiert. Peking hält den Iran am Laufen, es kauft 90 Prozent seiner Ölexporte. Zwar gehen viele Experten davon aus, dass China von den Vereinten Nationen verhängte Sanktionen zumindest offiziell nicht missachten würde.
Allerdings umgeht Peking bereits jetzt sogenannte sekundäre Sanktionen, die von den USA gegen alle nicht amerikanischen Unternehmen verhängt werden, die Handel mit dem Iran treiben, und bezieht iranisches Öl, etwa über Zwischenhändler .
Den Handel mithilfe von Schattenflotten und Schiffen unter falscher Flagge kennt man auch von Russland. Für Moskau ist Peking der größte Abnehmer von Erdgas – eine maßgebliche Unterstützung für Putins Krieg. Zudem kündigte Chinas Machthaber Xi Jinping an, angesichts der von den USA erhobenen Strafzölle ein Wirtschaftssystem aufzubauen, dass zwischen den Ländern des Globalen Südens funktioniert und den Westen umgeht.
Teheran tritt selbstbewusst auf
UN-Sanktionen würden dieses Vorhaben stärker treffen als US-Sanktionen, weil fast alle Länder in den Vereinten Nationen vertreten sind. Auch dürfte es im Falle von UN-Sanktionen zusätzliche Kontrollmöglichkeiten geben. Vom Waffenhandel werden sich Länder wie Russland aber kaum abhalten lassen.
Teheran jedenfalls tritt selbstbewusst auf. Druck auszuüben, sei ein falscher Schachzug, denn damit zwinge man den Iran zu harten Entscheidungen, hieß es diese Woche aus dem Außenministerium in Teheran. Dabei ist das Regime so schwach ist wie kaum zuvor. Nach seiner Unterstützung für den Terrorangriff der Hamas auf israelische Zivilisten am 7. Oktober hat der Iran bei den militärischen Gegenschlägen Israels seinen „Ring des Feuers“ in der Region fast vollständig eingebüßt.
Allen voran wurde die Hisbollah-Miliz im Libanon dezimiert und nach dem Fall des Diktators Assad aus Syrien nahezu vollständig vertrieben. Bei den Angriffen auf seine Atomanlagen wurde deutlich, dass Israels Armee den Luftraum über dem Iran beherrscht. Trotzdem kann das Regime mit seinen Raketen weiter großen Schaden in der Region anrichten.
Für Bundeskanzler Friedrich Merz sind die Verhandlungen über Sanktionen nach seiner „Drecksarbeit“-Aussage zur Frage der persönlichen Glaubwürdigkeit geworden. Vorige Bundesregierungen hatten lange die Strategie verfolgt, weiter mit Teheran zu reden – ein Ansatz, der ebenso infrage steht wie die Strategie, gegenüber Russland auf „Wandel durch Handel“ zu setzen.
Eine erneute Eskalation im Nahen Osten will Berlin allerdings vermeiden. Selbst wenn die Europäer nun den Sanktionsmechanismus aktivieren, kann während der Umsetzung noch viel passieren. Teherans Verhandler haben in der Vergangenheit oft bewiesen, dass sie mit vermeintlichen Zugeständnissen Zeit gewinnen können.
Irans Kronprinz und Oppositioneller im Exil, Reza Pahlavi, forderte Deutschland auf, die Sanktionen zu beantragen. Eine Verzögerung würde nur „dem weltweit größten staatlichen Förderer des Terrorismus helfen“.
Managing Editor Philip Volkmann-Schluck berichtet für WELT über internationale Politik mit einem besonderen Fokus auf den Nahen Osten, China und Südosteuropa.
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