Diese vier Knoten muss der Kanzler in Washington lösen
Der Eklat aus dem Oval Office ist unvergessen. Das letzte Treffen von Wolodymyr Selenskyj und Donald Trump Ende Februar in Washington endeten mit gegenseitigen Vorwürfen und Streit vor laufenden Kameras. Es war ein Desaster für die Ukraine. Und eine Demütigung für deren Präsidenten.
Diesmal, ein halbes Jahr später, wird Selenskyj nicht allein im Weißen Haus sein. CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz reist an diesem Montag gemeinsam mit anderen europäischen Staats- und Regierungschefs nach Washington. Auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist mit dabei. Die Europäer wollen dem ukrainischen Präsidenten Rückendeckung geben, ausloten, wie es zu einem gerechten Frieden kommen kann.
Dafür muss Merz mit seinen Amtskollegen mindestens vier große Knoten lösen. Erstens wird es in Washington um Sicherheitsgarantien für die Ukraine gehen. Zweitens um mögliche Gebietsabtretungen und drittens um einen geordneten Ablauf eines Friedensprozesses, insbesondere der Frage nach einem Waffenstillstand.
Und dann ist da noch, viertens, die Erinnerung an das, was im Februar im Weißen Haus geschah. Ist eine Wiederholung wirklich ausgeschlossen?

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Sicherheitsgarantien aussprechen
Offenbar hat Präsident Trump nach dem Treffen mit Wladimir Putin in Alaska signalisiert, der Ukraine Sicherheitsgarantien im Falle eines Friedensschlusses zu geben. So sagte es Friedrich Merz am Samstag; die US-Seite hat das inzwischen bestätigt. Das wird in Berlin als Fortschritt zur bisherigen Position der Amerikaner gewertet.
Allerdings scheint noch ungeklärt, wie genau diese Sicherheitsgarantien aussehen können. Diese würde wohl zum schwierigsten Teil eines Friedensabkommens. Die Frage, ob europäische oder auch amerikanische Truppen in der Ukraine stationiert werden würden, wäre dabei nur eine von vielen.
Im Raum steht eine Sicherheitsklausel nach dem Vorbild von Artikel fünf der NATO, allerdings ohne Mitglied zu werden. Artikel fünf verpflichtet die Mitglieder des Bündnisses, sich im Falle eines Angriffs Beistand zu leisten. Diskutiert wird, ob es bilaterale Schutzgarantien geben kann, ähnlich wie sie Japan von den USA erhalten hat. Außerdem wollen die Europäer die Ukraine weiter mit Waffen beliefern, mit einer starken Armee versehen. "Die Ukraine muss ein stählernes Stachelschwein werden, unverdaulich für potenzielle Eindringlinge", betonte von der Leyen.
Die Frage der Sicherheitsgarantien ist gleichzeitig die zentrale Schwäche der Europäer: Es gibt bisher keine geeinte Position, keinen eigenen Plan. Besonders umstritten ist die Frage möglicher Friedenstruppen. Auch diese Frage muss bald gelöst werden.

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Gebietsabtretungen verhindern
Dies ist einer der heikelsten Punkte der Gespräche: Laut übereinstimmender Berichte von US-Medien würde Trump für ein Friedensabkommen auch die Abgabe der kompletten ukrainischen Donbas-Region an Russland unterstützen. Dabei wird diese Region von der Ukraine noch immer erbittert verteidigt, gilt als gut gesicherte Festung, an deren Einnahme Russland seit Kriegsbeginn scheitert. Die Aufgabe dieser Gebiete soll eine Kernforderung von Kremlchefs Putin gewesen sein.
Für die Ukraine wäre ein Abtreten bisher gut geschützter Gebiete kaum verhandelbar. Diese Haltung teilen die Europäer. Stattdessen könnte es um eine De-Facto-Anerkennung des Status Quo gehen, also entlang der derzeitigen Frontlinie. Ein Frieden würde die Gebiete nicht juristisch an Russland übertragen, aber womöglich die derzeitige Besetzung anerkennen. Auf eine solche Option hatten sich die Europäer vergangene Woche bei einem Telefonat verständigt.
Hat Trump sich nach dem Gespräch mit Putin wirklich auf dessen Spiel eingelassen? Das muss Merz in Washington herausfinden – und ihn notfalls wieder von der alten Linie überzeugen.
Friedrich Merz will einen Waffenstillstand aushandeln
Friedrich Merz betonte nach dem Gipfel in Alaska: US-Präsident Trump habe beim Treffen mit dem Kremlchef keinen der vereinbarten Punkte abgeräumt. "Trump bewegt sich innerhalb dieser Linie, die wir miteinander besprochen haben", sagte der Kanzler bei RTL. Allerdings sorgt Trumps Absage an einen schnellen Waffenstillstand in Berlin schon für Sorgenfalten.
Es war einer der Kernforderungen der Europäer gewesen, die man dem US-Präsidenten in der vergangenen Woche übermittelt hatte: Erst muss die russische Artillerie schweigen, müssten die Bomber am Boden bleiben: Dann kann über langfristigen Frieden verhandelt werden. Die Befürchtung: Alles andere könnte die Ukrainer erpressbar machen. Trump dagegen will nun gleich ein größeres Friedensabkommen.

Der Amerikaner will offenbar in wenigen Tagen einen Prozess abschließen, der normalerweise Monate braucht. Aber zu welchem Preis? Auch das wollen die Europäer bei den Gesprächen mit Trump in Erfahrung bringen. Bisher gab es nur ein kurzes telefonisches Briefing durch den US-Präsidenten nach dem Treffen mit Putin.
Hoffnung macht in Berlin und anderen europäischen Hauptstädten, dass US-Außenminister Marco Rubio die Tür für einen Waffenstillstand zuletzt wieder öffnete: Dieser sei nicht vom Tisch, sagte Rubio am Sonntag, aber ein "umfassendes Friedensabkommen" gehe vor. Die Ukraine fordert weiter einen schnellen Waffenstillstand. Merz muss vermitteln.
Showeffekte nutzen
Es reisen nicht ohne Grund die Europäer nach Washington, denen ein guter Draht zu Trump nachgesagt wird: Neben Merz sind das insbesondere die Italienerin Giorgia Meloni, der Finne Alexander Stubb und NATO-Chef Mark Rutte. Ihre zentrale Aufgabe wird es, einen erneuten Eklat zwischen Trump und Selenskyj zu verhindern.
Die Europäer wollen Trump zeigen, dass nicht die Diktatoren dieser Welt seine Gefährten sind, sondern, dass sein wichtigster strategischer Partner noch immer Europa ist. Putin hatte den US-Amerikaner in Alaska ganz offensichtlich damit bezirzt, dass er die von Trump verlorene US-Wahl im Jahr 2020 als "manipuliert" bezeichnete. Eine Verschwörungstheorie, die Trump stur verbreitet. Ähnliches werden die Europäer ihm kaum sagen können. Aber Gedanken macht man sich in Berlin schon darüber, mit welchen Mitteln man Trump auf die eigene Seite ziehen kann.
Der US-Präsident schielt seit seiner ersten Amtszeit auf den Friedensnobelpreis. Es mag absurd klingen, manchem lächerlich vorkommen. Aber es wäre auch ein lächerlich kleiner Preis für einen fairen Frieden in der Ukraine. Vielleicht muss Merz derartige Showeffekte nutzen, wenn er die schwierige Ausgangslage zum Positiven wenden will.
Am Ende muss bei allem, so bitter das klingen mag, besonders einer strahlen: Donald Trump. Auch deshalb will man in Berlin die Erwartungen an das Treffen lieber dämpfen.
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