Der Gipfel von Alaska offenbart Europas Bedeutungsverlust
Warum ausgerechnet Alaska? Am Freitag will US-Präsident Donald Trump in dem Bundesstaat Kremlchef Wladimir Putin treffen. Haben die beiden Männer diesen Ort gewählt, weil ihre Nationen dort fast aneinanderstoßen? Von Küste zu Küste sind es nur 88 Kilometer, manche amerikanische Inseln erlauben bei gutem Wetter einen Blick auf die Berge Sibiriens. Handelt es sich also um ein Symbol der Annäherung? Ein EU-Beamter vertritt – halb im Spaß, halb im Ernst – eine andere These: „Alaska“, sagt er, „liegt schön weit weg von Europa.“
Trump und Putin wollen am Freitag über ein Ende des Krieges in der Ukraine sprechen. Ob der Präsident des Landes, Wolodymyr Selenskyj, dabei sein darf, hält die US-Regierung noch offen. Als sicher hingegen gilt schon: Die EU wird nicht eingeladen. Ihre Vertreter fordern zwar immer wieder, ein Deal zwischen Amerika und Russland müsse Europa einschließen. Doch den Rest der Welt interessiert das wenig.
Und so spricht die EU nun erst einmal mit sich selbst. Am Montag schalteten sich die Außenminister der 27 Mitgliedstaaten zu einer Videokonferenz zusammen, Brüssels Top-Diplomatin Kaja Kallas hatte dazu eingeladen. Es ging darum, „nächste Schritte“ zu planen, wie Diplomaten sagten. Aber die traurige Wahrheit lautet: Europas Möglichkeiten sind begrenzt. Denn Trump und Putin nehmen den Kontinent – ökonomischer Gigant, aber militärischer Zwerg – nicht ernst.
Floskeln ohne Folgen
Man habe sich darauf geeinigt, sagte Kallas nach dem Treffen, an neuen Sanktionen gegen Russland und zusätzlicher militärischer Unterstützung für die Ukraine zu arbeiten. Nötig zur Beendigung des Krieges seien „transatlantische Einheit“ und „Druck auf Russland“. Es waren diplomatische Worthülsen, die Europas Hilflosigkeit nur noch zu unterstreichen scheinen. Floskeln ohne Folgen für die reale Welt.
Für Mittwoch lädt der deutsche Kanzler Friedrich Merz (CDU) immerhin zu einem virtuellen Treffen ein, an dem auch Trump und Selenskyj teilnehmen sollen. Europa, so scheint es, wird am Rand eingebunden, per Telefon und Video. Aber sobald es ernst wird und sich die Mächtigen der Welt persönlich treffen, bleibt der Kontinent außen vor.
In Alaska also wollen zwei Großmächte über das Schicksal eines europäischen Landes verhandeln – unter Ausschluss der EU. Dabei trägt die Staatengemeinschaft viele finanzielle Lasten. Seit dem Jahr 2024 ließ sie der Ukraine mehr als 28 Milliarden Euro an Hilfen zukommen. Ein Teil davon waren Kredite, ein Teil Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Dennoch finden nun womöglich entscheidende Gespräche nicht in Brüssel oder Kiew statt, sondern am Rand der Arktis. Tausende Kilometer weit entfernt.
Europa dürfte erst dann wieder eine Rolle spielen, wenn frisches Geld gebraucht wird. Konkret: bei der Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine. Für die kommenden zehn Jahre beziffert die EU-Kommission den Bedarf auf mehr als 500 Milliarden Euro. Die Summe entspricht fast dem dreifachen der Wirtschaftskraft des Landes.
All das reiht sich in eine Folge von Ereignissen ein, die auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben, aber am Ende dasselbe offenbaren: einen dramatischen Bedeutungsverlust der Europäischen Union.
Eine Reihe von Niederlagen
So verhandelte die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, Ende Juli in Schottland mit Trump über neue Zölle – und stimmte einem Deal zu, den viele später als Schmach bezeichneten: Absenkung fast aller europäischen Sätze auf null, Erhöhung der amerikanischen auf 15 Prozent. Zudem versprach von der Leyen, die EU werde den Vereinigten Staaten in den kommenden Jahren Öl und Gas für 750 Milliarden Dollar abkaufen.
Ein weiteres Beispiel: Die Player in Nahost – etwa Israel und der Iran – schauen vor allem auf Amerika und Russland. Die EU spielt für sie kaum eine Rolle. Während europäische Politiker wie Emmanuel Macron zum Beispiel immer neue Verhandlungen mit den Machthabern in Teheran um ihr Atomprogramm fordern, ließ Trump an einem Tag im Juni Nuklearanlagen von B2-Bombern angreifen.
Vergangene Woche dann unterschrieben der Regierungschefs Armeniens und der Präsident Aserbaidschans einen Friedensvertrag – und zwar im Weißen Haus. Die beiden Länder hatten in den vergangenen Jahren vor Europas Haustür zwei Kriege gegeneinander geführt, es ging um die Kontrolle der Region Bergkarabach. Der EU blieb jetzt nur, die Einigung in einer offiziellen Mitteilung „herzlich“ zu begrüßen.
Handelspolitik, Nahost, Kaukasus, jetzt die Ukraine – überall gibt Donald Trump den Ton an, überall bleibt die EU außen vor. Wie ein Zuschauer am Rand eines Spielfelds, der immer wieder etwas hereinruft, aber ignoriert wird.
Viele in Brüssel fürchten, dass Amerika und Russland am Freitag die Ukraine aufteilen, gegen den Willen Selenskyjs und gegen den Willen der EU. Trump schlug am Wochenende vor, die Regierung solle Land abtreten, er sprach von einem „Austausch von Gebieten zum Wohle beider Seiten“.
In einem extremen Szenario droht die Ukraine ein Fünftel ihres Territoriums zu verlieren, für Selenskyj bisher ein Tabu. Er könnte eine Abtretung auch nicht allein entscheiden, dafür müsste die Verfassung geändert werden – was innenpolitische Verwerfungen auslösen dürfte. Trump besteht trotzdem darauf. Selenskyjs Haltung in dieser Frage habe ihn „ein bisschen gestört“, sagte der US-Präsident am Montag im Weißen Haus. „Denn es wird irgendeinen Gebietstausch geben.“
Stefan Beutelsbacher ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet über die Wirtschafts-, Handels- und Klimapolitik der EU. Zuvor war er US-Korrespondent in New York.
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