Union hat sich für rechte Cancel Culture einspannen lassen
- Kampagne gegen Brosius-Gersdorf serviert Doppelmoral auf dem Silbertablett
- Rückzug von Brosius-Gersdorf zeugt von Realismus – den Schaden verantworten andere
- CDU und CSU müssen aus ihrer Diskursverweigerung rauskommen
Wer in den vergangenen Jahren über Cancel Culture geschimpft hat, der hätte jetzt die beste Gelegenheit, die Stimme zu erheben. Der Rückzug von Frauke Brosius-Gersdorf von ihrer Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht ist zweifellos ein schwerer Schlag für unsere Demokratie. Eine exzellente Juristin, in Fachkreisen hoch angesehen, wird verhindert von einer patriarchal-sexistischen Diffamierungskampagne rechter Blogs und Nachrichtenportale.
Doppelmoral auf dem Silbertablett serviert
Eine Kampagne, die die tatsächlichen Positionen von Brosius-Gersdorf unvollständig bis schlicht falsch darstellte. Dabei muss man sich die Triggerpunkte ihrer Gegner auf der Zunge zergehen lassen. Denn unter anderem zwei Punkte standen im Zentrum der Kampagne gegen die Juristin: Ihre Äußerungen zu einer Impfpflicht und zu Schwangerschaftsabbrüchen.
Wer näher hinsieht, kann sich schnell über die Kampagnenmacher und -unterstützer wundern: ein Pieks in den Arm unter klar festgelegten Voraussetzungen soll unzumutbar sein – bei Schwangerschaftsabbrüchen ist die Selbstbestimmung über den eigenen Körper dann aber ein nicht mehr so hohes Gut. Wer noch ein Beispiel für Doppelmoral sucht, kriegt es hier auf dem Silbertablett serviert.
"Lassen Sie uns nicht mit diesem Irrsinn allein" – war mein erster Gedanke, als ich von Brosius-Gersdorfs Rückzieher las. Denn ich bin überzeugt: Gerade jetzt brauchen wir unaufgeregte, sachliche Stimmen wie ihre. Allen Anfeindungen zum Trotz legte sie ihre Positionen nüchtern dar, erklärte Widersprüchlichkeiten im bestehenden Recht statt laute Kontroversen zu eröffnen. Ihr Rückzieher ist nicht nur ein herber Schlag für alle Frauen – sondern letztlich für alle, die an einem ausgeruhten demokratischen Diskurs interessiert sind.
Brosius-Gersdorf schaut der Realität ins Gesicht
Dabei ist die Entscheidung zum Rückzug gut nachvollziehbar – Brosius-Gersdorf schaut schlicht der Realität ins Gesicht: Denn bei der Unionsfraktion verbucht die Diffamierungskampagne gegen ihre Person einen vollen Erfolg. Allen Fakten zum Trotz halten entscheidende Abgeordnete von CDU und CSU an der bisherigen Verweigerungshaltung gegen die Juristin fest. So hat Brosius-Gersdorf keine Aussicht auf das Richteramt.
Mit ihrem vorzeitigen Rückzug will Brosius-Gersdorf – wie sie schreibt – auch die anderen beiden Kandidaten schützen und verhindern, "dass sich der Koalitionsstreit wegen der Richterwahl zuspitzt und eine Entwicklung in Gang gesetzt wird, deren Auswirkungen auf die Demokratie nicht absehbar sind." Dabei ist der Schaden schon da. Dass eine Diffamierungskampagne eine solche Wirkmacht in der Herzkammer unserer Demokratie – im Bundestag – anrichten kann, muss mindestens nachdenklich stimmen.
CDU und CSU mauern sich in Diskursverweigerung ein
Wer sich in den vergangenen Wochen mit den Vorwürfen gegen Brosius-Gersdorf auseinandersetzte, musste schnell feststellen: einer nüchternen Betrachtung halten diese Vorwürfe nicht stand. Doch wer aus der CDU/CSU-Fraktion hat sich das überhaupt angeschaut? Und ja, auch aus der Unionsfraktion erfuhr die Juristin teilweise Zuspruch. Doch wesentliche Teile dieser Fraktion betreiben schlicht Diskursverweigerung.
So viel Gesprächsbereitschaft Brosius-Gersdorf auch in Richtung ihrer Gegner signalisierte: Dort mauerte man sich in der eigenen Verweigerungshaltung ein. Argumente? Fehlanzeige – vielleicht aus Sorge, angesichts der eigenen Argumentationslosigkeit bloßgestellt zu werden; vielleicht, weil man es in der eigenen Breitbeinigkeit schlicht nicht nötig hat. Dabei brauchen wir Gespräche und Dialog, gerade jetzt.
Nach der ausgesetzten Richterwahl vom 11. Juli wäre es an jedem einzelnen Unionspolitiker gewesen, einmal gründlich in den Spiegel zu schauen und sich zu fragen, ob man sich wirklich von einer rechten Diffamierungskampagne instrumentalisieren lassen will. Nun, nach dem Rückzieher von Brosius-Gersdorf stehen wir alle vor einem Scherbenhaufen. Gerade die Union wäre gut beraten, dieses Debakel gründlich aufzuarbeiten. Denn sonst stehen der nächsten Hetzkampagne schon Tür und Tor offen.
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