Netanjahu bittet Rotes Kreuz um Geiselhilfe – Hamas stellt dafür Bedingungen
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) um Hilfe bei der Versorgung der im Gazastreifen festgehaltenen israelischen Geiseln gebeten. Der Regierungschef habe mit dem Leiter der IKRK-Delegation in der Region, Julien Lerisson, gesprochen, teilte Netanjahus Büro am Sonntag mit. Er habe ihn darum gebeten, die Versorgung der Geiseln mit Nahrungsmitteln und sofortiger medizinischer Hilfe zu unterstützen.
Vorausgegangen waren von der Hamas veröffentlichte Videos, die in vielen Ländern auf schwere Kritik gestoßen waren: Eines der Videos zeigt den abgemagerten Evyatar David, wie er sich in einem engen Tunnel sein eigenes Grab zu schaufeln scheint. Ein anderes Video zeigt, wie der Deutsch-Israeli Rom Braslavski sich Nachrichtenvideos über die Hungersnot der Palästinenser im Gazastreifen anschauen muss. Die Videos sorgten in Israel und international für großes Entsetzen.

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Hamas stellt Bedinungen für Hilfe für Geiseln
Die Hamas hält die letzten schätzungsweise 20 lebenden Geiseln in ihren Tunneln im Gazastreifen unter unmenschlichen Bedingungen gefangen. Die Hamas hat bisher humanitären Organisationen jeglichen Zugang zu den Geiseln verwehrt. Die Hamas hatte auch schon in der Vergangenheit Geisel-Videos als Mittel der psychologischen Kriegsführung eingesetzt. In Israel besteht der Verdacht, dass die Islamisten in diesem Fall ihre Entführungsopfer gezielt an den Rand des Verhungerns brachten, um mit den Schreckensbildern Druck auf die Regierung Netanjahu auszuüben.
Die radikal-islamische Hamas ist nach eigenen Angaben zur Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz bereit, um von ihr im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln Hilfe zukommen zu lassen. Zuvor aber müsse Israel bestimmte Bedingungen erfüllen, teilte die Hamas am Sonntag mit.
Die Al-Kassam-Brigaden, der bewaffnete Arm der Hamas, teilte zwar mit, er sei bereit, Anfragen des Roten Kreuzes zur Lieferung von Nahrungsmitteln und Medikamenten an die "feindlichen Gefangenen" positiv zu beantworten. Jedoch hieß es weiter in der Erklärung, zur Bewilligung solcher Anfragen müssten dauerhafte humanitäre Korridore eingerichtet werden, damit Nahrungsmittel und Medikamente "an unser ganzes Volks in allen Gebieten des Gazastreifens" geliefert werden könnten.
Die Al-Kassam-Brigaden teilte zudem mit, die Hamas hungere die Geiseln im Gazastreifen "nicht absichtlich" aus, "aber sie essen dasselbe Essen wie unsere Kämpfer und die Bevölkerung". Angesichts des Hungers und der israelischen Belagerung würden ihnen "keine Sonderrechte gewährt".
Das sind die Geiseln, die die Hamas bisher frei ließ

Internationales Entsetzen über Geisel-Videos
Die IKRK-Delegation in Israel und den besetzten Palästinensergebieten zeigte sich unterdessen "entsetzt" über die zuletzt von der Hamas und der mit ihr verbündeten Palästinensergruppe Islamischer Dschihad veröffentlichten, "erschütternden" Geisel-Videos. Die Delegation bekräftigte ihre Forderung nach Zugang zu den Geiseln, äußerte sich aber ansonsten nicht zur Frage der möglichen Versorgung der Geiseln durch das IKRK.
Unter anderem Frankreich, Großbritannien, die USA und Deutschland kritisierten die Hamas scharf. Israel kündigte an, der UN-Sicherheitsrat werde sich am Dienstagmorgen in einer Sondersitzung zur Situation der Geiseln in Gaza treffen.
In einer Erklärung des Geisel-Familien-Forums, das die Angehörigen der festgehaltenen Geiseln vertritt, hieß es, die Hamas halte seit über 660 Tagen unschuldige Menschen unter unmöglichen Bedingungen fest. Bis zu deren Freilassung habe die Hamas die Pflicht, sie mit allem Notwendigen zu versorgen.
Humanitäre Situation im Gazastreifen weiter verheerend
Nach knapp 22 Monaten Krieg zwischen Israel und der Hamas ist die humanitäre Lage im Gazastreifen verheerend. Mehr als hundert Hilfsorganisationen warnten kürzlich vor einem "massenhaften Verhungern" in dem Palästinensergebiet. International war daher zuletzt der Druck auf Israel gewachsen, mehr Hilfsgüter in den Gazastreifen zu lassen und einer neuen Waffenruhe zuzustimmen.

Die der Hamas unterstellten Gesundheitsbehörden im Gazastreifen teilten unterdessen mit, sechs weitere Menschen seien in den vergangenen 24 Stunden im Gazastreifen an Hunger oder Unterernährung gestorben. Damit steige die Zahl derer, die seit Beginn des Krieges an den Folgen einer sich abzeichnenden Hungersnot gestorben seien, auf 175 - darunter 93 Kinder. UN-Organisationen haben Israel aufgefordert, viel mehr Hilfe in das Gebiet zu lassen, um eine Hungersnot unter den 2,2 Millionen Menschen zu verhindern. Von israelischer Seite hatte es wiederholt geheißen, man müsse verhindern, dass die Hilfen in die Hände der Hamas gelangten.
Den palästinensischen Behörden zufolge wurden am Sonntag in der Küstenenklave zudem auch mindestens 80 Menschen durch israelischen Beschuss und Luftangriffe getötet. Darunter seien auch Personen, die versucht hätten, zu Hilfslieferungen in den südlichen und zentralen Gebieten des Gazastreifens zu gelangen.
Ausgelöst worden war der Krieg durch den beispiellosen Großangriff der Hamas und mit ihr verbündeter Kämpfer auf Israel am 7. Oktober 2023. Dabei wurden nach israelischen Angaben 1219 Menschen getötet und 251 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Als Reaktion auf den Hamas-Angriff geht Israel seither massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben der Hamas-Behörden, die sich nicht unabhängig bestätigen lassen, bislang mehr als 60.400 Menschen getötet.
Netanjahu: Hamas will keinen Deal
Die Hamas strebt eine Beendigung des Gaza-Kriegs zu ihren Bedingungen an. Sie würde die Geiseln freilasse, wenn sich Israel aus dem Gazastreifen zurückzieht und alle Kampfhandlungen gegen die Hamas einstellt. Israel fordert wiederum eine Entwaffnung der Islamisten und den Gang ihrer Kader ins Exil. Die Hamas lehnt das entschieden ab.

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Neben den 20 lebenden Geiseln hat die Terrororganisation die sterblichen Überreste von weiteren 28 bis 30 Verschleppten in ihrer Gewalt. Monatelange Bemühungen, durch indirekte Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas eine Waffenruhe herbeizuführen und die Freilassung der Geiseln zu bewirken, verliefen bislang ergebnislos.
Die Hamas hat nach Ansicht Netanjahus kein Interesse an einem Abkommen über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg und die Freilassung von Geiseln. "Ich verstehe genau, was die Hamas will. Sie will keinen Deal", sagte er in einer Video-Botschaft gemäß einer englischen Übersetzung der "Times of Israel". Er sei nunmehr noch entschlossener, die Geiseln zu befreien und die Hamas zu zerschlagen.
Das Forum der Geisel-Familien übte Kritik an seinen Äußerungen. "Seit 22 Monaten wird der Öffentlichkeit die Illusion verkauft, dass militärischer Druck und intensive Kämpfe die Geiseln zurückbringen werden", zitierte die Zeitung eine Erklärung der Gruppe, die die Mehrheit der Familien der 50 noch immer in Gaza festgehaltenen Geiseln vertritt. "Die Wahrheit muss gesagt werden: Die Ausweitung des Krieges gefährdet das Leben der Geiseln, die in unmittelbarer Todesgefahr schweben. Wir haben die erschreckenden Bilder der Geiseln in den Tunneln gesehen, sie werden weitere lange Tage des Grauens nicht überleben", heißt es in der Erklärung des Forums weiter.
Netanjahu hatte zuvor erklärt: "Sie (die Hamas) will uns brechen – mit diesen grauenhaften Videos, mit der falschen Horror-Propaganda, die sie in der ganzen Welt verbreitet." Aber man werde sich nicht brechen lassen. Der Regierungschef bezog sich auf zwei Geisel-Videos, die die palästinensische Terrororganisation in den vergangenen Tagen veröffentlicht hatte.

Und die Geiseln in Gaza? Wie die Angehörigen gegen das langsame Vergessen kämpfen
Militär zur Geiselbefreiung?
Medienberichten zufolge erwägt die israelische Führung tatsächlich ein militärisches Vorgehen, um die letzten Geiseln zu befreien. Netanjahu strebe danach, die Freilassung der Geiseln "auf dem Weg eines militärischen Sieges" zu erreichen, heißt es in einer Erklärung, die ein namentlich nicht genannter Regierungsbeamter mehreren israelischen Zeitungen zukommen ließ.
Man stehe diesbezüglich im Dialog mit der amerikanischen Führung, und es zeichne sich die Einsicht ab, dass die Hamas an einer Vereinbarung im Zuge indirekter Verhandlungen nicht interessiert sei. Die humanitäre Hilfe für die palästinensische Zivilbevölkerung soll aber weiterhin gewährleistet bleiben, abgesehen von Kampfgebieten und Gebieten unter Kontrolle der Hamas.
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