Russland behauptet, Tschassiw Jar erobert zu haben. Über ein Jahr dauerten die Kämpfe. Die Stadt diente als "Wellenbrecher" und nahm eine beherrschende Position ein.

Nach über einem Jahr schwerer Kämpfe meldet das russische Verteidigungsministerium die Eroberung von Tschassiw Jar in der ostukrainischen Region Donezk, belegt durch Videos, die russische Soldaten beim Hissen von Flaggen in den westlichen Teilen der Stadt zeigen. Kiew bestreitet dies und erklärt, ukrainische Truppen hielten weiterhin Stellungen im Stadtzentrum, legt aber keinen Beweis vor. Sollten sich dort noch Kampfgruppen befinden, sind sie durch die jüngsten russischen Eroberungen in einer äußerst prekären Lage. 

Tschassiw Jar ist ein strategisches Drehkreuz, da es auf einer Anhöhe liegt und die Kontrolle über Verbindungswege zu Städten wie Kostjantyniwka, Kramatorsk und Slowjansk ermöglicht. Pokrowsk, etwa 30 Kilometer südwestlich, ist ebenfalls akut bedroht und nahezu verloren. Russische Truppen haben wichtige Versorgungswege wie die Fernstraße M04/E50 unterbrochen, und geolokalisierte Aufnahmen zeigen russische Sabotage- und Aufklärungstrupps im Stadtzentrum. Die verbleibende Zivilbevölkerung in Pokrowsk wurde größtenteils evakuiert. Damit verschärft sich die Lage an der Donbass-Front weiter für die Ukraine. Ein großer Durchbruch ist zwar unwahrscheinlich, da der Drohnenkrieg mit verstärktem Einsatz von Aufklärungs- und Kamikaze-Drohnen Großmanöver erschwert – dennoch werden ukrainische Truppen unaufhörlich zurückgedrängt.

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Tschassiw Jar blockierte den russischen Vormarsch

Die kleine Stadt Tschassiw Jar war ein Eckpfeiler der ukrainischen Verteidigung. Als "Wellenbrecher" liegt sie vor einer Kette von Städten im Donbass wie Kramatorsk und Slowjansk, die von Kiew gehalten werden. Geschützt wurde sie durch den Siwerskyj-Donez-Donbas-Kanal und ihre Lage auf einer Anhöhe, die das Gebiet weithin beherrscht. Über ein Jahr lang wogten die Kämpfe hin und her, begleitet von massiven russischen Gleitbomben- und Artillerieangriffen, die die Stadt nahezu vollständig zerstört haben.

Nachdem die Russen den Kanal an beiden Seiten der Stadt überschreiten und sich an den Flanken vorarbeiten konnten, stand der Fall der Stadt mehrfach unmittelbar bevor. Doch den Verteidigern gelang es in zähen Kämpfen, die Russen immer wieder zurückzudrängen und ihre Truppen im verbleibenden Stadtzentrum durch ein ausgedehntes Waldgebiet zu versorgen. Die Kämpfe haben weitreichende Folgen für die Zivilbevölkerung: Vor Kriegsbeginn lebten etwa 12.500 Menschen in Tschassiw Jar; die Stadt ist inzwischen fast vollständig entvölkert, da die meisten Bewohner vor den Bombardements geflüchtet sind.

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Kostjantyniwka bedroht

Mit dem Vormarsch in Tschassiw Jar gerät die weiter westlich gelegene Stadt Kostjantyniwka ins Visier der Russen. Eine Eroberung ist nicht unmittelbar zu erwarten, da die zurückweichenden Ukrainer umfangreiche Befestigungen und kleinere Siedlungen auf dem Weg dorthin verteidigen. Sollten die Russen sich auf den Höhen von Tschassiw Jar etablieren, könnten sie Kostjantyniwka von mehreren Seiten mit Artillerie und Drohnen bedrohen. Das Siedlungskonglomerat von Kostjantyniwka wird dann zum nächsten Wellenbrecher. Russische Truppen sind etwa sieben Kilometer von den Ausläufern Kostjantyniwkas entfernt, dadurch gerät die Stadt in den Wirkungsbereich russischer Drohnen und Artillerie.

Kampf um Nachschubwege 

Falls die Russen ihrer aktuellen Taktik treu bleiben, werden sie versuchen, ukrainische Stützpunkte vor der Stadt, insbesondere das an Tschassiw Jar angrenzende Mykolajiwka, zu erobern. Ihr Hauptaugenmerk liegt jedoch auf den logistischen Verbindungswegen von Kostjantyniwka, um Stadt und Zuwege durch Drohnenangriffe auf Straßen und Nachschublager zu lähmen.

Kiew unter Beschuss: Explosionen erhellen Nachthimmel © n-tv
Kiew unter Beschuss: Explosionen erhellen Nachthimmel © n-tv.de

An der gesamten Kampflinie im Donbass spitzt sich die Situation zu. Neben Pokrowsk und Kostjantyniwka sind weitere Frontabschnitte bedroht. Kiew verstärkt westlich des Donbass neue Verteidigungslinien. Jenseits der industriellen Gebiete des Donbass fehlen jedoch die massiven Gebäude, zahlreichen Wasserstraßen, Staudämme und unterirdischen Anlagen der Industriestädte, die eine Verteidigung erleichtern.

Taktik von Infiltrationsgruppen

Der russische Vormarsch basiert auf materieller und personeller Überlegenheit sowie dem unentwegten Einsatz von Gleitbomben und Drohnen. Russland hat im Drohnenkrieg aufgeholt, indem es Aufklärungs- und Kamikaze-Drohnen einsetzt, um ukrainische Stellungen zu überwachen und gezielt zu zerstören. In einzelnen Gebieten zerstören russische Bomben nicht nur Befestigungen, sondern auch alle Häuser und Schuppen im Hinterland, um ukrainischen Drohnenoperatoren die Deckung zu nehmen. Der Einsatz kleiner Infiltrationstrupps erweist sich zudem als erfolgreicher als große Konvois. Ukrainische Videos zeigen zwar russische Trupps, die von Drohnen überrascht werden, doch viele dieser Gruppen, die unter dem Schutz eigener Drohnen vorrücken, dringen erfolgreich vor. An vielen Stellen ist die ukrainische Front nur dünn mit Infanteristen besetzt. Gelingt es den Russen, ukrainische Drohnen auszuschalten oder zu stören, gibt es kaum ein Mittel, diese kleinen Trupps aufzuhalten.

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