Mit teils drastischen Worten beschuldigen internationale Hilfsorganisationen Israel, eine massive Hungersnot in Gaza zu verursachen. Netanjahus Regierung zeigt sich unbeeindruckt. 

Ihre Arme sind dünn, ihre Augen müde, ihre Kleidung verschmutzt – und der Topf, den viele Kinder in Gaza für Essen mit sich tragen, immer öfter leer. 

Die Lage der Menschen im Gazastreifen ist verzweifelt. Seit Monaten gelangen kaum Lebensmittel und andere Hilfsgüter in den von Israel abgeriegelten Küstenstreifen. Selbst das Meer, dessen Fischbestände mal eine Lebensader für die palästinensische Bevölkerung waren, wurde von Israel zum Kampfgebiet erklärt. In einem dringlichen Appell haben nun mehr als 100 Hilfsorganisationen vor der Ausbreitung einer Hungersnot gewarnt.

In der am Mittwoch veröffentlichten und von 111 Organisationen unterzeichneten Erklärung hieß es, dass "unsere Kollegen und die Menschen, denen wir helfen, dahinsiechen". Den Unterzeichnern des Appells zufolge betragen Hilfslieferungen im Gazastreifen derzeit im Durchschnitt nur 28 Lastwagen pro Tag. Laut UNO sind aber mindestens 600 Lkws pro Tag erforderlich, um die Bevölkerung von zwei Millionen Menschen zu ernähren. Viele Vorräte der Hilfsorganisationen sind so gut wie aufgebraucht. Lebensmittel, die es noch zu kaufen gibt, sind für die Menschen kaum bezahlbar. Und viele Rettungskräfte sind mittlerweile selbst zu schwach, um den kollabierenden Menschen zu helfen.

Ein Viertel der Palästinenser leidet akut unter Hunger 

Dr. Rik Peeperkorn, der Gaza für die Weltgesundheitsorganisation WHO regelmäßig besucht, sagte der BBC, dass er zuletzt Kinder gesehen habe, die aufgrund von Mangelernährung deutlich jünger aussähen, als sie eigentlich seien. Mehr als 50 Kinder sind den Angaben der WHO zufolge seit Beginn der israelischen Totalblockade im März an Mangelernährung gestorben. Das von der Hamas geführte Gesundheitsministerium in Gaza meldete am Dienstag, dass 33 Menschen innerhalb von 48 Stunden an Mangelernährung gestorben seien. Nach Angaben des Welternährungsprogramms (WFP) lebt inzwischen ein Viertel der Bevölkerung "unter hungernotähnlichen Bedingungen".

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Dabei stehen hunderte Tonnen von Lebensmitteln an den Grenzen bereit. Die Vereinten Nationen wiesen wiederholt auf Schwierigkeiten hin, die erforderliche israelische Genehmigung zu erhalten, um die eingehenden Hilfsgüter mit den Fahrern aus dem Gazastreifen an den Grenzübergängen abzuholen und durch die Militärzonen zu transportieren. Die anhaltenden israelischen Luftangriffe, die stark beschädigten Straßen und der gravierende Treibstoffmangel haben die Probleme noch verschärft. 

Hilfesuchende Menschen werden erschossen

Die größte Schwierigkeit besteht laut UN-Angaben darin, von den IDF Zusagen zu erhalten, dass verzweifelte Palästinenser nicht getötet werden, während sie lebensrettende Hilfe suchen. Jedes Mal, wenn Hilfsteams versuchten, Güter an den Grenzübergängen abzuholen, näherten sich den UN-Mitarbeitern zufolge Zivilisten ihren Lastwagen, die unter israelischen Beschuss gerieten.

Analyse Wieso Israel nicht gleichzeitig Besatzer und Ernährer sein kann

Die UNO hatte am Dienstag mitgeteilt, israelische Soldaten hätten seit Beginn der Arbeit der von Israel kontrollierten und hochumstrittenen Hilfsorganisation Gaza Humanitarian Foundation (GHF) Ende Mai mehr als eintausend Palästinenser getötet. Der Leiter des UN-Hilfswerks für die Palästinenser (UNRWA), Phillipe Lazarrini, bezeichnete die Verteilzentren der GHF als "sadistische Todesfallen". Was dort geschehe, sei eine "massive Menschenjagd, bei völliger Straflosigkeit", schrieb er auf X.

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28 Länder kritisieren Israel

Unterdessen wächst der internationale Druck auf Israel. 28 Länder forderten bereits am Dienstag in einer gemeinsamen Erklärung ein sofortiges Ende des Krieges im Gazastreifen und kritisierten zugleich Israels Umgang mit der humanitären Hilfe für das abgeriegelte Gebiet. "Weiteres Blutvergießen dient keinem Zweck", heißt es in dem Text. Auch die weiter in Gaza festgehaltenen Geiseln müssten sofort freigelassen werden. 

Bringt Israel sich mit seinem Vorgehen international gerade endgültig ins Abseits? Oder handelt es sich bei der Erklärung bloß um Symbolpolitik?

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Jan Busse, Experte für die Beziehungen zwischen Europa und Nahost an der Universität der Bundeswehr in München, hält die Erklärung für ein deutliches Signal, "vor allem, weil zahlreiche Staaten dabei sind, die bisher enge Partner Israels waren, allen voran Großbritannien". Zwar sei insbesondere die Haltung der USA, die nicht unterzeichnet haben, entscheidend – doch auch die EU könne, wenn sie wolle, auf Israel einwirken, etwa über das Assoziierungsabkommen. Es gewährt Israel in vielen Bereichen die Privilegien eines EU-Mitgliedsstaates.

Deutschland blockiert Maßnahmen

Doch zu spürbaren Maßnahmen fehlt innerhalb der EU bislang offensichtlich der geeinte politische Wille. Insbesondere Deutschland sei entschieden gegen eine Aussetzung des Assoziierungsabkommens, sagt Busse. Mit dieser Haltung gerate die Bundesregierung aber sowohl innen als auch bei seinen Partnern immer stärker unter Rechtfertigungsdruck.

Das israelische Militär rückt derweil mit Bodentruppen in das Gebiet der Stadt Deir al-Balah im zentralen Gazastreifen ein. Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministerium binnen 24 Stunden 113 Menschen getötet.

Israels Regierung hält bislang an ihrem Gaza-Plan fest

Israel hat die zwei Millionen Palästinenser nach Angaben des UN-Nothilfebüros OCHA inzwischen auf einer Fläche von zwölf Prozent des Küstengebiets zusammengepfercht. Die restlichen Gebiete hat Israel wahlweise zu militärischem Sperrgebiet erklärt oder die Menschen zur Evakuierung aufgefordert.

Kaum Nahrung, keine medizinische Versorgung – und womöglich bald schon kein Raum mehr zum Leben. Vor zwei Wochen legte Verteidigungsminister Israel Katz Pläne für ein Lager im Süden des Gazastreifens vor, in das nach und nach die gesamte Bevölkerung Gazas zwangsumgesiedelt werden soll. Wer es einmal betritt, soll es nicht mehr verlassen dürfen. Es wäre ein entscheidender Schritt zur Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen und, nach Einschätzung von Menschenrechtlern, ein Kriegsverbrechen.

Momentan stellt sich diesem Vorhaben niemand ernsthaft in den Weg.

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