Die Auferstehung des „Seemonsters“
Die Fotos erinnern an die „Star Wars“-Filme: Aufgenommen in der russischen Teilrepublik Dagestan, sieht man ein großes Flugobjekt, das wie falsch geparkt und vergessen am Strand des Kaspischen Meeres steht. Ein Flugzeug, augenscheinlich militärischer Art, mit dickem Bauch, massivem Heck und ganzen zehn Triebwerken. Um das graue Ungetüm herum Touristen mit gezückten Handys, die Kamera auf Selfie-Modus.
Was hat es mit dem Flugzeug auf sich? Es handelt sich um ein ausgemustertes sogenanntes Ekranoplan, zu Deutsch: Bodeneffektfahrzeug. Eine sowjetische Idee aus dem Kalten Krieg.
Das Kalkül: Durch Ausnutzen des sogenannten Bodeneffektes kann sich das Kriegsgerät knapp über der Oberfläche bewegen und so die Erfassung durch ein Radar umgehen – beim Einsatz über Wasser aber mangels Wasserkontakts auch nicht von Torpedos getroffen werden. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt erklärt den Bodeneffekt so: Wenn etwa ein Hubschrauber zur Landung ansetze, könne die Luft nicht mehr ungestört nach unten „abfließen“ – dadurch entstehe ein Überdruck, der wie ein Luftpolster wirke und Schweben mit weniger Leistung ermögliche.
Das damals „Kaspisches Seemonster“ getaufte Gerät war fast 100 Meter lang, auf bis zu 544 Tonnen maximales Startgewicht ausgelegt und erreichte dennoch Geschwindigkeiten von 400 Kilometern pro Stunde. Für militärische Zwecke also eine reizvolle, weil effiziente Idee.
Weil der Bodeneffekt allerdings nur bei ebenem Untergrund funktioniere und bereits bei starkem Wellengang über dem Meer für Probleme sorge, sei das Gerät damals nie in Serie produziert worden, berichtet der „Spiegel“.
Nun aber scheint China das Konzept wieder aufgreifen zu wollen. Zumindest legen das laut Medienberichten Fotos aus Nordchina nahe, die ein Fluggerät dieser Art an einem Pier zeigen sollen. Zudem berichtet die „New York Times“ unter Berufung auf ein ihr vorliegendes russisches Geheimdienstdokument, das Peking versuche, russische Piloten und Luftfahrtexperten abzuwerben. Demnach fokussiert sich China insbesondere auf frühere Mitarbeiter des sowjetischen Ekranoplan-Projekts, die mit dessen Einstellung unzufrieden sind oder finanzielle Probleme haben.
Die „NZZ“ schreibt, zwar seien Fotos aus China „mit Vorsicht zu genießen“, Experten gingen aber davon aus, „dass das chinesische Interesse an der Technologie echt ist“. Der Militärexperte Alex Luck sagte der Zeitung, das Land habe bereits Erfahrung mit dieser Art von Gerät. In Bezug auf das jüngst im Internet gezeigte Modell gelte: „Auf jeden Fall ist es das größte Bodeneffektfahrzeug, das in China je gesehen wurde.“
Auch die USA hatten ein eigenes Bodeneffektfahrzeug angestrebt. Das Projekt wurde jedoch kürzlich unter Verweis auf zu hohe Kosten eingestellt, wie Anfang Juli bekannt wurde. Die Eigenschaften der chinesischen Version sind bislang unbekannt.
Der Zweck hingegen sei „offensichtlich“, schreibt der „Spiegel“: Im Falle einer Invasion Taiwans könne Peking die alte Idee nutzen, um seine Transportkapazitäten in Richtung des von der Kommunistischen Partei beanspruchten Inselstaats zu erhöhen.
Auch eine weitere Innovation könnte für Taiwan zur Bedrohung werden
Und noch eine andere Technologie hat im Kontext eines möglichen chinesischen Angriffs auf Taiwan zuletzt Aufmerksamkeit erregt: Zahlreiche Medien berichteten im April über eine neue Klasse von Landungsschiffen. Die „neueste Errungenschaft der chinesischen Marine“ sei „so frisch, dass sich im deutschen Sprachgebrauch noch kein fixes Wort dafür durchgesetzt hat“. Der chinesische Name „Shuiqiao“ bedeute „Wasserbrücke“, berichtete der österreichische „Standard“.
Und damit ist das Konzept offenbar auch schon recht präzise erklärt. Denn bei den Wasserfahrzeugen, die Anfang 2025 erstmals auf Satellitenbildern zu sehen waren, handelt es sich augenscheinlich um riesige Landungsboote, die miteinander verbunden große Distanzen überbrücken können.
Auf beiden Seiten befinden sich Brücken von je 120 Meter Länge, die drei auf den Satellitenbildern eingefangenen Schiffe kommen demnach auf eine Brückenlänge von 720 Metern. Zudem sollen die Schiffe durch in den Meeresboden rammbare Stelzen stabil genug sein, um auch bei schwerer See sicheren Grund für schweres Gerät sicherstellen zu können.
Der amerikanische Militäranalyst Thomas Shugart sagte gegenüber dem Sender CNN, es gebe „nichts dergleichen“ im Westen – „so etwas habe ich noch nie gesehen“. Gleichzeitig seien die Landungsschiffe groß, langsam und verwundbar. China müsse daher vor einem Einsatz die Kontrolle über die Domänen Luft, See und Information erringen, so Shugart, der einst bei der US Navy als Offizier auf einem U-Boot diente.
Peking sieht Taiwan als abtrünnigen Teil Chinas und hat immer wieder angekündigt, eine „Wiedervereinigung“ mit dem Land anzustreben. Dies solle friedlich geschehen – außer, Taiwan wehre sich dagegen. Chinas Staatspräsident Xi Jinping etwa drohte: „Wir werden niemals auf den Einsatz von Gewalt verzichten und behalten uns alle notwendigen Maßnahmen vor.“
Nachrichtenredakteur Florian Sädler schreibt bei WELT vor allem über politische Themen, darunter Migration, Extremismus und Russlands Krieg gegen die Ukraine.
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