„Wird Arbeit illegaler Schleuser erleichtern“ – UN-Mission in Libyen vor dem Aus
Die EU-Militäroperation Irini (EUNAVFOR MED IRINI) im Mittelmeer zur Durchsetzung eines Waffenembargos der Vereinten Nationen (UN) gegen Libyen und zur Bekämpfung der illegalen Migration im Mittelmeer steht nach Informationen von WELT AM SONNTAG höchstwahrscheinlich vor dem Aus.
EU-Diplomaten berichteten übereinstimmend: „Die international anerkannte Regierung der Nationalen Einheit in Libyen ist nach jetzigem Stand nicht mehr bereit, die Einladung zur Fortsetzung der Operation zu erneuern.“ Dabei gilt die Einladung der Regierung von Abdul Hamid Dbeibeh mit Sitz in Tripolis als Grundlage für die Durchsetzung des UN-Waffenembargos.
Laut internen Dokumenten des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) verlief ein Krisentreffen zwischen hohen Vertretern der EU und der libyschen Regierung am 30. Juni ohne konkrete Fortschritte bei der Verlängerung des UN-Mandats. Trotz Angeboten aus Brüssel habe die Regierung der Nationalen Einheit bei dem Treffen ihre Vorbehalte gegenüber einer Verlängerung des Mandats wiederholt.
Diplomaten betonen zudem, dass das UN-Mandat im Mai dieses Jahres nicht wie bisher für ein Jahr, sondern erstmalig nur für sechs Monate bis zum November verlängert worden sei. „Das war der Kompromiss, nachdem die Regierung der Nationalen Einheit zuvor heftigen Widerstand gegen eine Verlängerung des UN-Mandats geleistet hatte“, hieß es in Brüsseler Diplomatenkreisen.
Endet die Operation, könnte dies Schlepperbanden ermutigen und die illegale Migration über das Mittelmeer begünstigen, so die Befürchtung. „Das Ende der Überwachung und der Kontrollen durch Satelliten, Schiffe und Flugzeuge wird die Arbeit der illegalen Schleuser in der Region erleichtern und die Migration von Libyen nach Europa weiter ansteigen lassen“, kritisierte ein Diplomat.
Die Militäroperation Irini, an der sich 23 EU-Länder beteiligen, hat ihre Arbeit im Frühjahr 2020 aufgenommen. Federführend bei der Verlängerung des UN-Mandats ist aufseiten der Europäer Frankreich, das dem UN-Sicherheitsrat als ständiges Mitglied angehört. Neben der Durchsetzung des UN-Waffenembargos zur Förderung des Friedens in Libyen und der Bekämpfung von illegaler Migration soll die Militäroperation auch illegale Öltransporte aus Libyen verhindern und zugleich Schulungen für die libysche Küstenwache und Marine durchführen.
Die genauen Gründe für den Widerstand gegen eine Verlängerung des UN-Mandats sind unklar. EU-Diplomaten sagten, darüber könne nur spekuliert werden. Als eine mögliche Ursache wird genannt, dass im Bürgerkriegsland Libyen sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die international nicht anerkannte Regierung von Khalifa Haftar finanziell vom Menschenschmuggel profitierten.
Nach Angaben der Diplomaten in Brüssel gibt es zudem auf beiden Seiten Befürchtungen, bei der Durchsetzung des UN-Waffenembargos benachteiligt zu werden. Libyen ist de facto zweigeteilt, die östliche Region wird von dem rivalisierenden General Haftar kontrolliert, der eng mit dem russischen Regime verbündet ist. Beide Konfliktparteien kämpfen nicht nur um die Kontrolle des Landes, sondern auch um milliardenschwere Einnahmen aus Ölgeschäften.
In Brüssel heißt es, die Operation Irini könne möglicherweise auch ohne UN-Mandat und ohne Einladung aus Tripolis auf Grundlage eines EU-Beschlusses fortgesetzt werden. Dann könnten die Schiffe allerdings nicht in libyschen Hoheitsgewässern innerhalb der sogenannten 12-Meilen-Zone operieren – also jenem Gebiet, das sich bis zu 12 Seemeilen (rund 22 Kilometer) von der Küste eines Staates erstreckt und in dem dieser seine volle Souveränität ausübt. Im Kampf gegen illegale Migration gilt dieses Vorgehen als besonders effektiv.
Außerdem drohen nach Angaben von EU-Diplomaten innerhalb der Union Auseinandersetzungen über die konkrete Ausgestaltung eines neuen Mandats. Laut UN halten sich derzeit rund 850.000 Migranten und Flüchtlinge in Libyen auf. Seit Juni 2024 sind rund 90.000 Menschen hinzugekommen. Die Betroffenen leben zum größten Teil unter erbärmlichen Bedingungen.
Seit Jahresbeginn hat die Migration aus Libyen wieder deutlich zugenommen, vor allem Italien und Griechenland sind davon betroffen. Allein auf der griechischen Insel Kreta sind in diesem Jahr mehr als 8500 Migranten eingetroffen, die meisten stammen aus Ägypten und dem Sudan.
Athen hat mittlerweile einen Asylstopp für Migranten verhängt, die aus Nordafrika über das Mittelmeer kommen. Im Kampf gegen die steigende Migration besuchte EU-Migrationskommissar Magnus Brunner zusammen mit mehreren Innenministern in diesem Monat Libyen. Rebellenchef Haftar war jedoch nicht bereit, die EU-Politiker zu empfangen.
Christoph B. Schiltz ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet unter anderem über Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, die europäische Migrationspolitik, die Nato und Österreich.
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