Mythos „Alligator Alcatraz“ – Trumps Strategie der Abschreckung zeigt Wirkung
Der schreckliche Ruf eilt „Alligator Alcatraz“ voraus: unerträgliche Plagen durch Mücken und andere Insekten, verdorbenes Essen, zusammengepferchte Häftlinge, unhaltbare hygienische Bedingungen, unzureichende medizinische Versorgung. Und natürlich drumherum viele Alligatoren und Schlangen. Dabei ist das neue Abschiebegefängnis in den Everglade-Sümpfen Floridas, das für reichlich Schlagzeilen in amerikanischen und internationalen Medien sorgt, in nur gut einer Stunde Autofahrt von Miami zu erreichen.
Die Zufahrt ist nicht zu verfehlen, der U.S. Highway 41 führt hier ohnehin nur schnurstracks geradeaus. Schon ein paar Meilen vor dem neusten Instrument der Migrationspolitik von Präsident Donald Trump verweisen grüne Schilder auf „Alligator Alcatraz“. Dann ein Abzweig nach rechts, die Fahrt endet vor einem verrosteten Zaun. Dort stehen ein paar Übertragungswagen des Lokalfernsehens und zwei Demonstranten mit Anti-Trump-Plakaten. „Niemand ist illegal auf gestohlenem Land“, steht darauf.
Ein vergilbtes Schild verrät den ursprünglichen Zweck des Geländes: „Dade Collier – Training und Transition Airport“. Gut 100 Meter weiter hat die Nationalgarde Position bezogen und einen Kontrollposten aufgebaut. Ein junger Soldat gibt höflich, aber bestimmt Auskunft: „Es tut mir leid, sie dürfen hier nicht weiter. Sie können gern vom Eingangsbereich ein Foto machen, aber ich darf sie nicht weiter vorlassen.“ Hier ist die Anfahrt zu Ende, und die Spekulationen beginnen.
Eines der Gerüchte über „Alligator Alcatraz“ stimmt jedenfalls – schon kurz nach dem Aussteigen aus dem Auto machen sich verschiedenste Insekten stechend oder beißend über den Neuankömmling her. Die anderen Vorwürfe lassen sich nicht unabhängig überprüfen, denn das schon jetzt berüchtigte Abschiebegefängnis wird so gut wie möglich abgeschirmt.
Vergangene Woche erhielten US-Abgeordnete eine kurze Tour, nachdem sie den Staat Florida verklagt hatten. Allerdings wurden ihnen laut CNN nur die leeren Käfige gezeigt, mit 32 Betten und drei kleinen Toiletten, aber weder die tatsächlichen Haftbedingen noch die medizinische Abteilung.
„Derzeit ist der Kontakt zu den in ‚Alligator Alcatraz‘ festgehaltenen Migranten äußerst eingeschränkt. Wir können nur über überwachte und aufgezeichnete Telefonate kommunizieren“, sagt Migrationsanwältin Magdalena Cuprys aus Miami auf Anfrage von WELT. Sie berät Migranten, die vor Ort inhaftiert sind.
Es gebe keine Erlaubnis für persönliche Besuche von Rechtsanwälten oder private, vertrauliche Telefongespräche. „Das beeinträchtigt unsere Fähigkeit, angemessene Rechtsberatung zu leisten, erheblich“, sagt Cuprys.
Kritik vom Erzbischof
Auch die in Florida sehr einflussreiche und eher konservativ ausgerichtete katholische Kirche geht auf Distanz zur aktuellen Migrationspolitik von Trump. „Schon der Name ‚Alligator Alcatraz‘ ist eine grausame Verhöhnung des Leids, das diese Menschen erdulden müssen“, sagte Miamis Erzbischof Thomas Wenski vor wenigen Tagen. „Wir haben ein Internierungslager mitten im Dschungel, umgeben von Schlangen, Alligatoren, Mücken und vielem mehr. Das ist eine unmenschliche Situation.“
Migrationsanwältin Cuprys sagt, ihr lägen entsprechende Berichte vor, die auch schon von mehreren Nachrichtenagenturen veröffentlicht worden seien. So zitiert AP mehrere Angehörige von Inhaftierten, die von unhaltbaren Zuständen berichten: 24 Stunden in Räumen ohne Fenster, mehrere Tage ohne Duschen, Würmer im Essen, überlaufende Toiletten und dadurch Fäkalien auf dem Zellenboden.
Hinzu kommen laut Cuprys extreme Temperaturen, hohe Luftfeuchtigkeit und unhygienische Bedingungen, darunter Insektenbefall. „Diese Umweltfaktoren in Verbindung mit der mangelnden medizinischen Versorgung und dem Fehlen grundlegender Versorgungsgüter machen die Einrichtung für die Inhaftierung von Menschen ungeeignet“, sagt Cuprys.
Stephanie Hartman vom Florida Division of Emergency Management (DEM), die das Gefängnis betreut, widerspricht dem vehement: „Das sind alles reine Erfindungen. Es hat keine solchen Vorfälle gegeben.“
Alle Inhaftierten hätten Zugang zu Medikamenten und medizinischer Versorgung, wenn sie diese benötigten, und erhielten drei Mahlzeiten, unbegrenzt Trinkwasser, Duschen und andere lebensnotwendige Dinge, wird Hartmann in US-Medien zitiert.
Sollte es die Strategie der Trump-Regierung sein, mit solchen Nachrichten, Bildern und Mythen Migranten abzuschrecken und ein Kopfkino der Angst auszulösen, dann geht sie offenbar auf. Denn niemand will in „Alligator Alcatraz“ oder von dort im gefürchteten Hochsicherheitsgefängnis Cecot in El Salvador landen, in das die USA bereits Hunderte Venezolaner abgeschoben haben.
Die konservative Tageszeitung „Miami Herald“, unter anderem Sprachrohr der vielen Hunderttausend Sozialismusflüchtlinge aus Kuba und Venezuela, berichtet in ihrer spanischen Ausgabe über Panik in der Latino-Community. Die Trump-Regierung will die rechtliche Grundlage dafür schaffen, dass Migranten mit nur sechs Stunden Vorwarnung in Drittländer abgeschoben werden können. Selbst dann, wenn diese Länder keine Sicherheitsgarantien bieten.
Zudem hat die Zeitung Zugang zu Dokumenten, die belegen sollen, dass ein Drittel der mehr als 700 inhaftierten Migranten keine Vorstrafen hätte. Das widerspreche der Aussage Trumps, dass das „Alligator Alcatraz“ nur für gewalttätige Kriminelle gedacht sei. Trump hatte sie „Monster“ genannt.
Das alles zeigt Wirkung. Laut offiziellen Angaben der zuständigen Grenzschutzbehörde U.S. Customs and Border Protection (CBP) ist die Zahl der illegalen Grenzübertritte im Juni auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen gefallen. Demnach wurden nur 25.228 Fälle im ganzen Land gezählt, der niedrigste Monatswert in der Geschichte der CBP.
Gleichzeitig nimmt die Zahl der Selbstabschiebungen, zu der die US-Regierung ermuntert, zu. Wer illegal ins Land gereist sei, aber freiwillig und selbstständig wieder ausreise, habe anschließend das Recht auf eine reguläre Einreise, sagt Sicherheitsministerin Kristi Noem. Wer hingegen als illegal ins Land gereister Migrant abgeschoben werde, verliere dieses Recht, zumindest für einige Jahre.
Anwältin Cuprys berichtet von einem Rückgang der Anfragen in den vergangenen Wochen. Viele Migranten fühlten sich aufgrund der aktuellen Einwanderungspolitik und der „Durchsetzungstaktiken“ zunehmend hoffnungslos. „Infolgedessen erwägen immer mehr Menschen, die Vereinigten Staaten ganz zu verlassen. Sie glauben, dass sie keine Chance mehr haben, zu bleiben oder Schutz zu finden.“
Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.
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