Es geht nicht nur um die Person – es geht um Macht
Inhalt des Artikels:
- Was ist passiert?
- Die Vorwürfe
- Wer profitiert?
- Worum geht es den Initiatoren?
- Der nächste Akt
- Delegitimierung von Staatsorganen
- Wie geht es weiter?
Was ist passiert?
10 Tage vor der Richterwahl startet die Kampagne. Die von der SPD nominierte Kandidatin hat sich bislang als Rechtswissenschaftlerin der Universität Potsdam und als ehemalige stellvertretende Landesverfassungsrichterin in Sachsen einen Namen gemacht. Die breite Öffentlichkeit kennt sie nicht. Das ändert sich jetzt, weil rechte Nachrichtenportale und Blogs beschließen, Brosius-Gersdorf mit gezielten Falschinformationen zu diskreditieren.
Die Vorwürfe
Diese Kandidatin sei eine "ultralinke Hardcore-Abtreibungsbefürworterin", die Schwangerschaftsabbrüche bis zum neunten Monat legalisieren wolle, heißt es etwa. Dann wird Brosius-Gersdorf auch noch vorgeworfen, in ihrer Dissertation plagiiert zu haben. Gepaart werden die Vorwürfe mit anderen Reizthemen wie Kopftüchern, Impfpflicht und Gendern. Sowohl der Plagiats- als auch der Abtreibungsvorwurf lassen sich nachvollziehbar anhand der Arbeiten und Aussagen von Brosius-Gersdorf widerlegen.
Die rechten Blogs und Nachrichtenportale schalten bezahlte Werbeanzeigen, die zum Protest gegen die Kandidatur aufrufen und Bürger dazu auffordern, Abgeordneten mit Briefen und Mails Druck zu machen. Wie wir heute wissen, hat das funktioniert. Eine nicht zu vernachlässigende Zahl von CDU-Abgeordneten übernahm das konstruierte Narrativ, wonach Brosius Gersdorf ultralinks und daher unwählbar sei. Die Wahl wurde verschoben.
Wer profitiert?
Brosius-Gersdorf kandidiert für den zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts. Der setzt sich nicht mit Abtreibungen auseinander, sondern unter anderem mit Parteiverbotsverfahren. Dass Brosius-Gersdorf sich 2024 in einer ZDF-Talkshow dafür ausgesprochen hat, ein AfD-Verbotsverfahren ins Auge zu fassen, wenn es "genügend Material gibt", sollte ohne Zweifel in die Bewertung der Kampagne mit einfließen. Die Meinungsäußerungen zu einem möglichen Parteiverbotsverfahren, die Brosius-Gersdorf vor ihrer Kandidatur tätigt, decken sich mit unserem Grundgesetz.
Die AfD greift die Beiträge der rechten News-Portale und Blogs weiterhin dankbar auf und erhöht den Druck auf die Union. Mittlerweile melden sich nicht mehr nur AfDler und parteinahe Internetblogs zu Wort, sondern auch CDU-Abgeordnete, Bischöfe und Kolumnisten von konservativen Blättern. Der Druck auf die Union bleibt auch nach der verschobenen Wahl unverändert.
Worum geht es den Initiatoren?
Rechte Onlinemedien und AfD dürften sich zu den Gewinnern der erfolgreichen Kampagne zählen. Zum einen wollen die Akteure ihre Muskeln spielen lassen und demonstrieren, dass sie Personen des öffentlichen Lebens, die ihren Normen und Werten entgegenstehen, ins Rampenlicht ziehen und verunglimpfen können. Darüber hinaus wollen sie aufzeigen, wie weit sie die Union in einer gesellschaftlichen Debatte vor sich hertreiben können. Weg vom sachlichen Diskurs, rein in die irrationale Gefühlsebene. Weg vom Koalitionspartner und der eigenen Fraktions- und Parteispitze, die bereits die Stimmen der Unionsfraktion zugesichert hatten.
Der nächste Akt
Der AfD-Spitze geht es derweilen längst nicht mehr nur um Brosius-Gersdorf, sondern auch um die zweite von der SPD nominierte Richterkandidatin Ann-Katrin Kaufhold. Diese stehe für "Enteignung", sagt der stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende Stephan Brandner. Er bewertet die Kandidatur Kaufholds als "links-grüne Agenda", die eine "Instrumentalisierung des Bundesverfassungsgerichts" darstelle.
Delegitimierung von Staatsorganen
Ein wohl gewählter Schachzug. So ist es doch gerade die AfD selbst, die – wo sie nur kann – die Institutionen der Verfassung zu delegitimieren versucht.
Politische Gegner in der Parteiendemokratie werden von der AfD als "Altparteien" und "Kartellparteien" bezeichnet, das Bundesamt für Verfassungsschutz wird als "politisch instrumentalisiert" dargestellt. Jetzt versucht die AfD die Autorität des Bundesverfassungsgerichtes zu untergraben, indem sie fortwährend suggeriert, die aktuellen Kandidatinnen seien politisch voreingenommen. So sät sie Zweifel an der Neutralität der bestehenden Senate.
Wie geht es weiter?
Egal worauf sich Union und SPD einigen: Beide Seiten haben sich schon so tief eingegraben, dass ein Kompromiss automatisch von der nachgebenden Seite als Gesichtsverlust interpretiert werden kann. Die Situation scheint vertrackt und bedarf einiges an Fingerspitzengefühl. Klar ist: Nur weil bereits ein Schaden entstanden ist, heißt es nicht, dass dieser nicht noch größer werden kann.
Selbst wenn die Koalitionäre jetzt verbal abrüsten und im Stillen einen Kompromiss aushandeln, ist immer noch nicht klar, ob die CDU-Fraktion ihrer Spitze folgt. Das hat schon die verpatzte Kanzlerwahl gezeigt und ist ein Problem, dass die Union beschäftigen sollte.
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