„Bricht bewusst mit dem Bereich der Zivilisation“ – AfD schließt Abgeordneten Helferich aus
Es ist eine Entscheidung, die innerhalb der Rechtsaußen-Partei für großen Wirbel sorgen wird: Das Landesschiedsgericht der nordrhein-westfälischen AfD hat den rechtsextremen Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich nach Informationen von WELT AM SONNTAG am Samstag aus der Partei ausgeschlossen. Demnach wurde nach einer mündlichen Verhandlung in Düsseldorf am frühen Nachmittag ein entsprechendes Urteil gesprochen.
Helferich ist einer der umstrittensten Mandatsträger innerhalb der Partei, hat aber insbesondere unter jungen Mitgliedern und im besonders radikalen Vorfeld auch zahlreiche Unterstützer. Zudem ist er Teil eines einflussreichen Netzwerks um Sebastian Münzenmaier, einen Vize-Chef der Bundestagsfraktion. Im Januar war Helferich auf Platz sechs der Landesliste für die Bundestagswahl in Nordrhein-Westfalen gewählt worden.
Laut Satzung der AfD können Mitglieder dann ausgeschlossen werden, wenn sie „erheblich gegen die Grundsätze oder Ordnung der Partei“ verstoßen und der Partei dadurch einen „schweren Schaden“ zufügen. Helferich hatte bereits zuvor angekündigt, im Falle eines Ausschlusses beim Bundesschiedsgericht einen Antrag auf Überprüfung der Entscheidung zu stellen.
Der Rauswurf war bereits im Mai 2024 vom nordrhein-westfälischen AfD-Landesvorstand um den Landeschef Martin Vincentz beantragt worden. Die Antragsschrift liegt WELT AM SONNTAG vor. Helferich habe „die Außerlandesbringung von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund unter Anwendung staatlicher Zwangsmittel als politische Zielstellung artikuliert und die Betroffenen dabei als ‚Viecher‘ adressiert“, heißt es darin etwa. Dies bezieht sich auf ein Instagram-Posting von Helferich aus dem Mai 2024. Damals hatte der Bundestagsabgeordnete das Foto eines Autospiegel-Anhängers mit der Aufschrift „Raus mit die Viecher“ und dem Hashtag „Remigration“ gepostet – und sich damit positiv auf eine Entmenschlichung von Migranten bezogen.
Der Landesvorstand nennt das Posting in der Antragsschrift eine „besonders krass die Menschenwürde verletzende Abqualifizierung von Migranten“. Der Ausdruck „Remigration“ sei vom Antragsgegner „auf hässlichste Weise kontaminiert worden“. Helferich kündige damit „jeglichen Konsens über Grundbegriffe menschlicher Gemeinwesen auf und bricht bewusst mit dem Bereich der Zivilisation“. Und weiter: „Die Szenarien, die drohen, sollten Personen wie Matthias Helferich jemals politisch-exekutive Macht erhalten, erinnern an die finstersten Kapitel der Menschheitsgeschichte und speziell auch der deutschen Geschichte.“
Helferich hatte sich zudem im Dezember 2023 positiv auf die Forderung zweier Mitglieder der Jungen Alternative bezogen, die jesidische Aktivistin Ronai Chaker abzuschieben. Die Antragsteller sind der Auffassung, dass Helferich mit seinem Posting eine deutsche Staatsbürgerin, die die deutsche Sprache und Kultur verinnerlicht habe, „mit aufenthaltsunberechtigten Ausländern“ gleichgesetzt und sich damit „in groben Widerspruch zu den Grundwerten der Partei“ gestellt hat. Helferich vertrete damit einen „ethnisch-biologischen Volksbegriff, welcher die Zugehörigkeit zu einer Ethnie als unveränderliche, quasi anlagebedingte ‚Substanz‘ betrachtet“.
„Klare und erkennbare Grenzen zum Abseits“
Die Antragserwiderung von Helferich aus dem Juni 2024 liegt WELT AM SONNTAG ebenfalls vor. Er weist die Vorwürfe darin zurück. Auch Deutsche mit Migrationshintergrund gehören für Helferich „zu vollwertigen Mitgliedern des Staatsvolkes“. Die Äußerungen anderer Mitglieder könnten ihm nicht zugerechnet werden. „Die beantragte Ordnungsmaßnahme dient allein zur Einschränkung der innerparteilichen Meinungsbildung und Demokratie.“
Helferich sagte damals WELT, in Nordrhein-Westfalen tobe ein Machtkampf. „Der Landesvorsitzende Vincentz geriert sich dabei als bürgerlicher Saubermann im Abwehrkampf gegen rechte Parteikreise. Das ist schnöde Inszenierung. Ich lehne diesen innerparteilichen Kampf gegen rechts per se ab.“ Damit konfrontiert, sagte Landeschef Vincentz damals, Helferich kämpfe „seit Langem, auch mit diversen Grenzübertritten nach ganz rechts außen, um Aufmerksamkeit“. Es gehe nicht um einen Machtkampf, die AfD trenne sich „lediglich von einem unverbesserlichen, destruktiven Querulanten“. Eine „breite Volkspartei von bürgerlich, liberal bis rechts“ brauche „klare und erkennbare Grenzen zum Abseits“.
Im Juli 2024 entschied das Landesschiedsgericht dann, Helferich bis zur Entscheidung über den Parteiausschluss die aktiven und passiven Rechte seiner Parteimitgliedschaft zu entziehen. In dem Beschluss wird Helferich „eine Einstellung einer extrem die Menschenwürde verletzenden Abqualifizierung von Migranten“ bescheinigt. „Dem Antragsgegner wird ferner zur Last gelegt, in der politischen Auseinandersetzung die Grundsätze der innerparteilichen Solidarität verletzt zu haben, indem er mit Drohungen und mit (Formal-)Beleidigungen agiert“. Helferich sagte hierzu, er habe niemanden bedroht.
Sollten die Parteirichter auf Bundesebene dem am Samstag in Nordrhein-Westfalen gesprochenen Urteil folgen, bleibt Helferich nur noch der Weg über Zivilgerichte, um in der AfD verbleiben zu können. Diese werden nur dann tätig, wenn im Parteiverfahren grundlegende Verfahrensrechte verletzt wurden. Davon geht Helferich aus. „Das Verfahren ist inzwischen so rechtsfehlerhaft, dass ich mir keine Sorge machen muss, dass ich spätestens von einem ordentlichen Gericht zurück in die AfD gesendet werde“, sagte er in einem Video am Freitag. „Am Ende werden wir gewinnen.“
WELT AM SONNTAG sagte Helferich am Samstag, er sei vom Gericht während der Verhandlung aus dem Saal entfernt worden. „Das ist ein einmaliger Vorgang, der Parteirechtsgeschichte schreiben wird.“ Zum Urteil sagte er: „Mich persönlich belustigt das Urteil, weil es leicht anzugreifen ist. Gleichzeitig bietet dieser Willkürakt aber einen traurigen Einblick in das Machtsystem Vincentz. Wenn meine Befangenheitsanträge nicht zugelassen, meine Zeugen nicht gehört werden und man am Ende von einem Ex-Bandido aus dem Saal geworfen wird, besteht für die Partei dringender Handlungsbedarf.“
In den vergangenen Wochen hatte Helferich über seinen Rechtsanwalt, den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Roger Beckamp, mehrere Befangenheitsanträge gegen die Parteirichter eingereicht. Die entsprechenden Schreiben liegen WELT AM SONNTAG vor. Darin werden schwere Vorwürfe gegen die Schiedsrichter erhoben. Die Rede ist etwa von „Anstiftung zur Rechtsbeugung“ sowie einem „klandestinen Treffen“, bei dem die Richter die Kammer des Verfahrens mit Helferich-Gegnern besetzt haben sollen. Eine Richterin soll demnach einer Parteifreundin geschrieben haben, Helferich habe „keinen Platz mehr in der AfD“.
Einer der Anträge enthält zudem eine Mail des AfD-Bundestagsabgeordneten Rüdiger Lucassen. Dieser gibt darin an, einer der Richter habe im Jahr 2021 geäußert, er könne Helferich durch seine Funktion im Schiedsgericht „den Kopf abschlagen“. Daher bestehe die konkrete Gefahr, „dass die Richter nicht unparteiisch sein können“. Die Befangenheitsanträge wurden abgelehnt.
Im Jahr 2022 war gegen Helferich bereits eine dreimonatige Sperre für Parteiämter verhängt worden. Es ging um Chatnachrichten aus den Jahren 2016 und 2017, in denen sich Helferich etwa als „das freundliche gesicht des ns“ (Schreibweise im Original) sowie – mit Bezug auf den Präsidenten des NS-Volksgerichtshofs, Roland Freisler – als „demokratischer Freisler“ bezeichnet hatte. Hierzu behauptete Helferich, er habe sich lediglich persiflierend auf Fremdzuschreibungen politischer Gegner bezogen.
Im Mai dieses Jahres waren neue Vorwürfe gegen Helferich erhoben worden. Der „Spiegel“ berichtete über angebliche E-Mails, die Helferich in den Jahren 2014 bis 2016 innerhalb der Bonner Burschenschaft Frankonia verschickt haben soll. In einer Mail, die der Recherche zufolge mit „Heilchen“ beginnt und mit „Matthias“ unterzeichnet ist, soll es etwa an ein Verbindungsmitglied gerichtet heißen: „Du hast noch meine gesamte Rassenkunde-Literatur, du jüdischer Langfinger.“ In weiteren Mails soll Helferich sich etwa als „Holocaustleugner_In“ bezeichnet haben. Der AfD-Politiker bestreitet, die Mails verfasst und versendet zu haben.
Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Im September erscheint im Herder-Verlag sein Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“.
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