Kritische Politiker werden aus dem Geheim-Ausschuss im Parlament gedrängt, die Opposition ist kaum vertreten. FDP-Politiker Konstantin Kuhle warnt die Regierung.

Herr Kuhle, vor mehr als vier Monaten wurde die FDP aus dem Deutschen Bundestag gewählt, die Fraktion ist aufgelöst. Sie arbeiten als Mitglied des geheimsten Ausschusses des Bundestags noch weiter im Parlament. Haben Sie überhaupt noch einen Schreibtisch? 
Mein Kollege Alexander Müller und ich sind tatsächlich die beiden letzten FDP-Politiker mit einer Funktion im Deutschen Bundestag. Als Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Kontrolle der Nachrichtendienste machen wir ehrenamtlich so lange weiter, bis unsere Nachfolger gewählt sind. Das passiert an diesem Donnerstag. 

Und das Büro? 
Mein Büro gibt es schon lange nicht mehr. Auch die Mitarbeiter haben glücklicherweise längst neue Jobs. Aber die Kontrolle der Nachrichtendienste muss auch dann weitergehen, wenn es eine neue Legislaturperiode des Bundestages gibt. 

Das Parlamentarische Kontrollgremium tagt geheim, die Tagesordnung ist nicht öffentlich, die Gäste nicht, nicht einmal der Zeitpunkt der Sitzungen. Wäre es nicht besser, wenn die Bevölkerung darüber informiert würde, wovor die Geheimdienste warnen?
Es gibt einmal im Jahr eine öffentliche Anhörung der Präsidenten der Nachrichtendienste. Die findet immer im Herbst statt. Der derzeitige Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, hat bei der letzten öffentlichen Anhörung sehr deutliche Worte zu den Bedrohungen durch Russland gefunden. 

Wir erleben täglich Sabotage an kritischer Infrastruktur und hybride Angriffe auf unsere Demokratie. Angesichts dieser Entwicklungen kann man sich gut vorstellen, dass sich die Nachrichtendienste insbesondere mit dieser Lage beschäftigen. 

Warum die Nachrichtendienste abseits der Öffentlichkeit arbeiten

Das klingt nach dem berühmten Satz von Ex-Innenminister Thomas de Maizière: Ein Teil der Antworten würde die Gesellschaft verunsichern. 
Ein hohes Maß an Geheimhaltung und Vertraulichkeit ist für die Arbeit der Nachrichtendienste wichtig. Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus oder des illegalen Waffenhandels beruht auf der Kooperation vieler beteiligter Staaten, die Informationen untereinander weitergeben. Das kann man nicht vor den Augen der Öffentlichkeit ausbreiten. Unabhängig davon finde ich, dass die Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Nachrichtendienste weiter verbessert werden kann. 

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Wenn kluge und eigenständige Köpfe von ihren Fraktionen aus dem Gremium entfernt werden, weil sie zu unbequem sind, ist das die Perversion von Kontrolle. 

Eine öffentliche Anhörung im Jahr reicht nicht aus. Nach dem Vorbild anderer europäischer Nachrichtendienste, etwa im Vereinigten Königreich oder im Baltikum, sollte insbesondere der BND bestimmte sensible Informationen in regelmäßigen Abständen öffentlich machen, damit die Bevölkerung endlich verinnerlicht, wie groß die Bedrohung durch Russland ist. 

Stattdessen kann man jetzt Werbeartikel vom BND kaufen, Mützen und auch Socken. 
Noch vor wenigen Jahren wäre eine derart offensive Öffentlichkeitsarbeit verpönt gewesen. Heute gibt es sogar ein Besucherzentrum beim BND in Berlin. Es hat sich also viel getan. Die Werbeartikel dienen vor allem dazu, Bewerberinnen und Bewerber für die Arbeit beim BND zu finden. Wir brauchen in Deutschland nicht nur mehr Soldatinnen und Soldaten. Auch die Nachrichtendienste des Bundes, also BND, Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst, sowie die Dienste der Länder brauchen mehr qualifiziertes Personal. 

FDP-Politiker Kuhle kritisiert Personalauswahl von Schwarz-Rot 

Am Donnerstag wird der Geheimausschuss neu gewählt. Es werden viele unerfahrene Mitglieder einziehen, weil erfahrene Leute wie Roderich Kiesewetter von der CDU sowie Ralf Stegner und Marja-Lisa Völlers von der SPD ausgetauscht werden. Ist das ein Risiko? 
Roderich Kiesewetter aus der CDU könnte als früher Militär und Außenpolitikexperte gerade in diesen Zeiten weiter eine sehr wichtige Rolle im Gremium spielen. Das gilt auch für die SPD-Verteidigungspolitikerin Marja-Liisa Völlers. Wenn kluge und eigenständige Köpfe von ihren Fraktionen aus dem Gremium entfernt werden, weil sie zu unbequem sind, ist das die Perversion von Kontrolle. 

Man könnte auch sagen: Weil Roderich Kiesewetter seinen Job gut gemacht hat, verliert er ihn jetzt. Das kann nicht richtig sein. Unabhängig von diesen Fällen spricht es aber nicht gegen die neuen Kolleginnen und Kollegen, wenn sie zum ersten Mal in das Gremium einziehen. Jeder hat irgendwann mal angefangen. 

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Das Gremium wird auch noch verkleinert, von 13 auf neun Sitze. Bedeutet das weniger Kontrolle der Dienste? 
Das Gremium war in der Vergangenheit auch schon kleiner. Eine Gesamtmitgliederzahl von neun Abgeordneten ist an sich kein Problem. Ein kleinerer Kreis an Geheimnisträgern dient auch der Vertraulichkeit. Ein Problem entsteht aber im aktuellen Parlament daraus, dass von den neun Sitzen zwei Sitze auf die AfD entfallen und ein Sitz der Linksfraktion zusteht. 

Wenn die drei Kandidaten dieser Parteien am Donnerstag nicht gewählt werden, dann sitzt am Ende mit Konstantin von Notz von den Grünen nur ein einziger Vertreter der Opposition im Gremium. Die Kontrolle gegenüber der Regierung und der sie tragenden Parlamentsmehrheit durch die Opposition wird also auf einen einzigen Abgeordneten zurechtgestutzt. Das ist gerade in Zeiten internationaler Krisen nicht der richtige Weg. Und es besorgt mich besonders, weil die Behörden mitunter tief in die Grundrechte der Bürger eingreifen. 

Außerdem ist die AfD eng mit Putins Regime in Russland verflochten. Wählt man Vertreter der AfD ins Gremium, kann man auch gleich öffentlich in Moskau tagen.

Halten Sie die Nicht-Wahl von Vertretern von AfD und Linke in so ein wichtiges Gremium für gerechtfertigt? 
Die Vertreter der AfD sollten nicht gewählt werden, weil diese Partei als Teil der rechtsextremen Szene in Deutschland mit Blick auf die Arbeit der Nachrichtendienste einem Interessenkonflikt unterliegt. Außerdem ist die AfD eng mit Putins Regime in Russland verflochten. Wählt man Vertreter der AfD ins Gremium, kann man auch gleich öffentlich in Moskau tagen. 

Bei der Linksfraktion ist die Lage differenzierter. Bis zur Auflösung der Linksfraktion in der vergangenen Wahlperiode gehörte mit André Hahn ein Abgeordneter der Linken dem Gremium an, der auch von CDU/CSU und FDP mit gewählt werden konnte. Dass die Linksfraktion jetzt ihre Vorsitzende Heide Reichinnek ins Rennen schickt, ist eine reine Provokation. 

Warum das? 
Es ist absolut unüblich, dass eine Fraktionsvorsitzende selbst im Parlamentarischen Kontrollgremium sitzt. Die Mitgliedschaft bedeutet, dass man häufig über einen sehr langen Zeitraum ohne telefonische Erreichbarkeit an geheimen Sitzungen teilnehmen muss. Ich bezweifle, dass das mit der Rolle einer Fraktionsvorsitzenden vereinbar ist. 

Wenn die beiden Vertreter der AfD nicht gewählt werden, müssen die anderen Mitglieder des Gremiums auch präsent sein. Ich kann zudem verstehen, dass die Union nicht die neue Gallionsfigur der Linken in das Gremium wählen möchte. Hier ist mehr Fachlichkeit gefragt. Ich hoffe, dass sich die Fraktionen in dieser Frage noch einmal zusammensetzen. Die Linke sollte eine andere Person aus ihrer Fraktion vorschlagen. 

FDP-Mann kritisiert langsame deutsche Nachrichtendienste

Die Ausgaben für die Nachrichtendienste steigen unter der neuen Regierung von 1,4 Milliarden auf 2,3 Milliarden Euro im Jahr 2029. Baut Friedrich Merz sich jetzt eine Art eigenen CIA? 
Der Unterschied zwischen Diensten wie der CIA und den deutschen Diensten ist, dass unsere Dienste reine Nachrichtendienste ohne operative Eingriffsbefugnisse sind. Daran ändert auch ein größerer Haushalt nichts. Die Dienste in Deutschland müssen mit dem zusätzlichen Geld technisch besser ausgestattet werden. Es braucht mehr Personal, aber auch mehr Geschwindigkeit. 

Auch der Aufbau der deutschen Nachrichtendienstkontrolle ist sehr unübersichtlich geworden. Verschiedene Gremien stehen sich oftmals gegenseitig auf den Füßen. Die neue Bundesregierung sollte die rechtlichen Grundlagen der Arbeit der Nachrichtendienste reformieren und dabei auch mehr Übersichtlichkeit schaffen. 

CSU will Reichinnek als Geheimdienst-Kontrolleurin verhindern

Oft kommen Warnungen bisher aus dem Ausland, vor allem den USA. 
Grundsätzlich ist es kein Problem, sondern der Normalfall, dass Nachrichtendienste Informationen miteinander teilen. Auch die deutschen Dienste helfen im Ausland. Trotzdem halte ich es für erforderlich, dass wir angesichts eines unberechenbaren US-amerikanischen Präsidenten schneller und besser darin werden, mehr eigene Informationen zu beschaffen.

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