Nach der Veröffentlichung eines zuvor geheimen Berichts des Gesundheitsministeriums muss sich der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Mittwoch im Haushaltsausschuss zu millionenschweren Maskengeschäften während der Corona-Pandemie erklären. Andreas Audretsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, spricht im Interview mit WELT TV über offene Fragen und einen möglichen Rücktritt von Spahn.

WELT: Erwarten Sie vom heutigen Haushaltsausschuss irgendetwas Erhellendes oder Selbstkritik?

Andreas Audretsch: Bislang war da tatsächlich sehr wenig. Wir haben seit gestern den Sudhof-Bericht (Sonderermittlerin Margaretha Sudhof, Anm.) vorliegen: 170 Seiten, auf 70 Seiten davon Schwärzungen, 40 Seiten mit weiträumigen Schwärzungen. Wenn man genau hinschaut, was da eigentlich geschwärzt worden ist, sind das genau die Punkte, bei denen es Aufklärung bräuchte. Zum Beispiel bei sogenannten Direktverträgen. Man muss sich das so vorstellen: Jens Spahn schickt ein paar SMS- und WhatsApp-Nachrichten an einige Leute und dann werden Aufträge in Millionenhöhe vergeben. Die ganzen Namen – mit wem hat er gearbeitet, welche Unternehmen haben davon profitiert, welche Bekannten, vielleicht aus dem CDU-Umfeld von Jens Spahn, haben profitiert – all das ist geschwärzt. Das kann natürlich nicht das Ende der Aufklärung sein, das ist der Anfang der Aufklärung.

WELT: Spahn ist jetzt Fraktionsvorsitzender. In einem normalen Unternehmen hätte er keinen Job mehr. Wie erklärt man Wählern, dass Politiker aus solchen Situationen nicht nur ungeschoren herauskommen, sondern teilweise sogar erfolgreicher?

Audretsch: Jens Spahn hat gesagt: „Wir werden uns viel verzeihen müssen“, es war eine schwierige Lage. Ich stimme zu, dass Corona eine große Krise war. Gleichzeitig muss klar sein, dass eine Krise nicht dazu führen darf, dass man sich den Staat zur Beute macht, in Vetternwirtschaft abgleitet, sehr viel Geld in das eigene Umfeld verteilt. Das muss die Konsequenz haben, dass man es restlos aufklärt. Sonst kann Vertrauen in einer zukünftigen Krise nicht entstehen. Wir haben schon in den Teilen, in denen der Bericht transparent ist, eine ganze Reihe an Fragen, die man anschauen muss: Warum wurde gegen den Willen des Krisenstabes, gegen die Empfehlung des Innenministeriums und des Gesundheitsministeriums, der Auftrag zur Beschaffung der Masken – 1,5 Milliarden – an ein Unternehmen aus der Heimat von Jens Spahn, aus dem CDU-Umfeld, vergeben? Der Chef von Fiege war im Wirtschaftsrat der CDU. Was haben andere im Umfeld, etwa die Sparkasse Westmünsterland damit zu tun? Das ist bislang unklar. All das muss aufgearbeitet werden, weil es darum geht, Vertrauen in den Staat herzustellen, gerade in Krisensituationen. Und das brauchen wir für die Zukunft.

WELT: Es heißt immer „Konsequenzen“, und am Ende hat trotzdem jeder einen Posten. Wenn sich die Vorwürfe bestätigen, müsste Spahn nicht seinen Posten verlieren?

Audretsch: Das wird man am Ende sehen. Die CDU/CSU, und gerade die Fraktion, muss sich das fragen.

WELT: Würden Sie seinen Rücktritt fordern?

Audretsch: Wir haben gestern interessanterweise Markus Söder gehört. Und der hat gesagt: Wenn da Milliarden verschleudert wurden, dann brauchen wir natürlich Aufklärung – das heißt einen Untersuchungsausschuss. Bislang sehen wir, dass die Koalition, dass Jens Spahn eine Nebelkerze mit dieser Enquete-Kommission startet. Alle wissen, dass es nicht die Instrumente in einer Enquete-Kommission gibt, um tatsächlich aufzuklären. Dazu braucht es einen Untersuchungsausschuss. Das ist der nächste Schritt. Dann wird man im Einzelnen alles drehen und wenden und unter jeden Stein schauen müssen. Wenn sich am Ende bewahrheitet, dass Vetternwirtschaft betrieben wurde, kann es natürlich zum Rücktritt eines Fraktionsvorsitzenden kommen. Das werden wir dann genau schauen müssen.

WELT: Lassen Sie uns beim Thema Geld bleiben. Am Dienstag wurden die Eckwerte des neuen Bundeshaushalts vorgestellt. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat nun erklärt, dieser Haushaltsentwurf bedeute eine erkennbare Abkehr von den Jahren der haushaltspolitischen Lähmung. Auch verschuldet durch die Grünen, die Teil dieser Regierung waren.

Audretsch: Wir hatten in der letzten Legislatur die Lähmung, die einerseits durch Christian Lindner, andererseits durch die Blockade von Friedrich Merz ausgelöst war. Jetzt haben wir zu Anfang dieser Legislaturperiode als Grüne möglich gemacht, dass diese Regierung endlich investieren kann. Lars Klingbeil und Friedrich Merz hatten den Ball auf dem Elfmeterpunkt, und sie sind dabei, den Elfmeter grandios zu verschießen. Wir werden am Ende auf der einen Seite Schulden in Milliardenhöhe – 850 Milliarden Euro Schulden bis Ende dieses Jahrzehntes – und auf der anderen Seite wenig Investitionen in Infrastruktur sehen. Da gleichzeitig Steuersenkungen in Milliardenhöhe auf den Weg gebracht wurden. Das heißt: Steuersenkungen für die Reichsten des Landes. Diese Löcher werden dann mit Schulden gestopft, damit die Kommunen nicht ausbluten, damit die Länder irgendwie über die Runden kommen. Das ist absurd und macht überhaupt keinen Sinn. Wir hatten eigentlich das Ziel, dass zusätzliche Investitionen in die Zukunft des Landes aus diesen Schulden finanziert werden. Mittlerweile sind die Tore offen und es wird jede Konsumausgabe, jedes Wahlgeschenk, alles, was sich diese Koalition wünscht, über Schulden finanziert. Das kann nicht die Lösung sein.

Das Interview wurde für WELT TV geführt. In dieser schriftlichen Fassung wurde es zur besseren Lesbarkeit leicht gekürzt und redaktionell bearbeitet.

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