Frankreichs Präsident ist ungeduldig. Am liebsten würde er das Smartphone für Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren ganz verbieten. Bis es so weit ist, will er zumindest den Zugang zu den sozialen Medien für diese Altersstufe untersagen. „Wir können nicht länger warten“, so Emmanuel Macron vergangene Woche, nachdem ein 14-jähriger Schüler eine Schulassistentin bei einer Taschenkontrolle in Nogent bei Paris erstochen hatte. „Die Plattformen haben die Möglichkeit, das Alter zu kontrollieren. Packen wir’s an“, schrieb Macron am selben Abend auf X.

Der Mord der pädagogischen Mitarbeiterin hängt nicht direkt mit den sozialen Medien zusammen, wie das bei anderen Gewaltverbrechen oder Terrorartattacken bereits der Fall war. Indirekt indes schon. Laut Staatsanwaltschaft hat der minderjährige Täter zwar wenig Zeit in den Sozialen Medien verbracht, war aber abhängig von Videospielen. Fakt ist, dass er keine Reue zum Ausdruck gebracht hat und keinerlei Empathie für das Opfer zeigt.

Auch in Deutschland zeigen die Kriminalstatistiken, dass die Zahl tatverdächtiger Jugendlicher unter 14 Jahren bei Gewaltdelikten um 11,3 Prozent gestiegen ist. Mord, Totschlag oder schwere Körperverletzung werden immer öfter von Kindern verübt.

Macron mag immer alles falsch verstehen, wie es US-Präsident Donald Trump in die Welt posaunt hat. In dieser Frage liegt er richtig und will Druck auf Brüssel ausüben, wo man seit Jahren über strengere Regeln diskutiert, doch die Plattformen erfolgreich ihre Lobbyarbeit betreiben und die Regulierung verzögern. Macron fordert auf europäischer Ebene Fortschritte „innerhalb weniger Monate“ und droht, die Pläne notfalls im Alleingang umzusetzen.

Schon im Juli 2023 hatte die französische Nationalversammlung ein Gesetz der „digitalen Volljährigkeit mit 15 Jahren“ verabschiedet. Nur mit ausdrücklicher Genehmigung eines Elternteils wollte man den Zugang zu sozialen Netzwerken vor diesem Alter erlauben. Doch ohne das juristisch bindende Ausführungsdekret, das Brüssel verhindert hat, blieb das Gesetz wirkungslos.

Die EU-Kommission hat ihre Zustimmung verweigert, weil die neue französische Regel nicht mit dem Digital Services Act kompatibel war. „Kommende Generationen werden zerstört. Dem müssen wir ein Ende setzen“, sagte Laurent Marcangeli, der zuständige Minister, nach dem das Gesetz benannt ist.

Macron hatte im selben Jahr eine Expertenkommission zur Bildschirmzeit beauftragt, die im Januar 2024 einen erschütternden Bericht vorgelegt hat. Auf Grundlage von Forschung und Erfahrungsberichten empfiehlt die Kommission Richtlinien, wonach Kleinkinder unter drei Jahren keinen Bildschirmen ausgesetzt werden sollten, weder am Computer noch am Fernsehgerät.

Mobiltelefone sollte erst ab elf Jahren in Erwägung gezogen werden, allerdings ohne Internetzugang. Ab dem 13. Lebensjahr empfehlen sie die Beschränkung auf soziale Netzwerke wie etwa Mastodon, die nicht-kommerziell ausgerichtet sind. Erst ab 18 sollten sie profitorientierten Plattformen wie TikTok, Instagram oder Snapchat ausgesetzt werden.

Ein Jahr später fragen die Experten in einem Gastbeitrag im „Figaro“, ob ihre Arbeit nicht vergebens war. Ihre Schlussfolgerungen hätten klar zu einem Bruch mit der bis dahin geltenden Vogel-Strauß-Taktik geführt. Man könne nicht mehr so tun, als habe man nicht gewusst. Es sei wissenschaftlich belegt, dass zu den unterschätzten Gesundheitsstörungen durch Schlafentzug, Immobilität und Übergewicht viele zusätzliche Probleme hinzukämen: „Isolation, Sucht, psychisches Leid, Pädokriminalität, Cybermobbing, Desinformation, Schulabbruch.“

Die Digitalindustrie mache keine Altersunterschiede, so die Experten weiter, und schlage Kapital aus der Aufmerksamkeit junger Menschen, deren Gehirne noch in der Entwicklung seien und die sich noch weniger als Erwachsene vor Sucht und Beeinflussung wehren könnten.

Von „Vermarktung der Kindheit“ ist in dem Gastbeitrag die Rede. Die Verteidiger der Digitalindustrie bedienten sich oft als „Experten“ verkleidet in der öffentlichen Debatte derselben Rhetorik wie einst die Tabak- und Alkohollobbyisten, die sich auf Argumente wie „individuelle Freiheit“ oder den „richtigen Gebrauch“ beriefen, schreiben die Autoren.

Das von Macron geforderte Verbot, soziale Medien vor dem Erreichen des 15. Lebensjahres zu nutzen, bezeichnet der Neurowissenschaftler Michel Desmurget angesichts der Erkenntnisse als „minimale Prävention“. Durch Meta und TikTok werde das Belohnungssystem durcheinandergebracht.

Dagegen sind Jugendliche hilflos

Die Nutzung sozialer Medien mit 14 habe keineswegs die gleichen Folgen wie mit 22 Jahren, erklärt der Experte, weil die Entwicklung des Gehirns noch nicht abgeschlossen sei. „Wo sich Erwachsene, wenn auch nur mit Mühe, gegen eine zu starke Stimulierung des Belohnungssystems wehren, sind Jugendliche hilflos“, warnt Desmurget.

In einer Sache sind die Franzosen schon zur Tat geschritten. Sie zwingen seit Anfang des Monats Plattformen, die pornografische Seiten anbieten, das Alter der Nutzer zu kontrollieren. Aus Protest sperrte Aylo, der Konzern hinter Porntub, Redtube und Youpron, die Webseiten für alle Nutzer aus Frankreich.

Stattdessen erscheint ein Bild der Marianne, Symbol der Freiheit, und ein Text, der die Sperrung begründet: „Ihre Regierung schlägt uns vor, Ihr Alter zu kontrollieren, jedes Mal, wenn Sie unsere Seite besuchen. Verrückt, oder?“ Frankreichs digitale Aufsichtsbehörde Arcom beziffert die minderjährigen Nutzer der Dienste im Jahr 2023 auf 2,3 Millionen.

Frankreich steht in der Frage eines Mindestalters für die Smartphone-Nutzung nicht allein da. Australien ist der erste Staat, der ein Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige beschlossen hat. Das Gesetz soll Ende des Jahres in Kraft treten und Anbieter wie TikTok und Snapchat dazu zwingen, das Alter der Nutzer zu kontrollieren. Andernfalls drohen hohe Geldstrafen.

Auch Spanien, Griechenland, Dänemark, Irland, Belgien, Slowenien und Zypern fordern eine EU-weite Altersverifikation und ein Mindestalter für den Zugang zu sozialen Medien. Einen Entwurf für Leitlinien zum Schutz von Minderjährigen hat die Kommission unlängst veröffentlicht. In diesem Sommer will sie eine App zur Alterskontrolle auf den Markt bringen.

Eines Tages werden wir uns vermutlich fragen, warum wir zugelassen haben, was der amerikanische Psychologe Jonathan Haidt als „das größte unkontrollierte Experiment, das die Menschheit je an ihren eigenen Kindern durchgeführt hat“, bezeichnet hat. Sein Buch „Generation Angst“ hat sich inzwischen 1,7 Millionen Mal verkauft und ist in 44 Sprachen übersetzt.

Haidt, selbst Vater einer 15-jährigen Tochter und eines 18-jährigen Sohns, rät Eltern, ihren Kindern ein Klapp-Handy zu geben. „Zentral ist, dass sie mit ihren Freunden kommunizieren können. Aber sie wollen ihre Kinder nicht gewinnorientierten Unternehmen überlassen, deren Ziel es ist, sie zu ködern.“ Wenn die Jugendlichen schon dabei sind, darf man kein „soziales Todesurteil“ fällen und ihnen die Smartphones wegnehmen. In dem Fall rät er, große Zeitfenster zu schaffen, die sie ohne ihr Telefon verbringen.

Martina Meister berichtet im Auftrag von WELT seit 2015 als freie Korrespondentin in Paris über die französische Politik.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke