Der Bundeskanzler feiert Israels mutiges Militär – und hofft, der Krieg gegen den Iran werde die Welt auch für uns sicherer machen. Dabei spricht einiges dagegen.

"Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle", sagt der Bundeskanzler über Israels Angriff auf den Iran. Er habe "größten Respekt davor, dass die israelische Armee den Mut dazu gehabt hat, die israelische Staatsführung den Mut dazu gehabt hat, das zu machen." Und weiter: "Wir hätten sonst möglicherweise Monate und Jahre weiter diesen Terror dieses Regimes gesehen und dann möglicherweise noch mit einer Atomwaffe in der Hand." 

Merz hat mit einem recht: Die Führung in Teheran terrorisiert und unterdrückt seit Jahrzehnten Menschen nicht nur im eigenen Land. Die Blutspur der Revolutionsgarden zieht sich von den Folterknästen und Galgen der Islamischen Republik über den Irak, Syrien, den Libanon und Ost-Europa bis nach Deutschland.

Keine zwei Jahre ist es her, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf einen Handlanger der Garden wegen eines gescheiterten Brandanschlags auf eine Bochumer Synagoge verurteilt hat. Dreißig Jahre nach dem wohl bekanntesten Terrorakt des iranischen Regimes auf deutschem Boden, dem Vierfach-Mord im Berliner Restaurant "Mykonos" 1992. In der Zwischenzeit: Eine Serie aus Entführungen, Morden, dunklen Machenschaften und Drohungen – ganz vorn die, Israel solle von der Landkarte verschwinden. 

Kanzler Friedrich Merz beim Handschlag mit Israes Premierminister Benjamin Netanjahu in Jerusalem im Februar 2024 © Kobi Gideon

So weit, so schurkenhaft. Nur: Stimmt deswegen das Kanzlerwort von der "Drecksarbeit für uns alle", die Israel angeblich gerade im Iran erledigt? Hat Friedrich Merz recht mit der Annahme, ohne diesen Krieg stünden uns noch Monate und Jahre mit Terror aus Teheran bevor? Macht Israel mit seinem Angriffskrieg die Welt wirklich so viel sicherer?

Zweifel sind angebracht. Denn dieser Krieg gegen die Islamische Republik ist brandgefährlich, auch für Deutschland, und sein Ausgang völlig offen. Dieser Krieg hat das Zeug dazu, die Welt sehr viel unsicherer zu machen, als sie ohnehin schon ist. Aus mehreren Gründen.

Erstens: Der Angriff geht weit über die Atomanlagen des Iran hinaus. Israels Strategie, das zeichnet sich seit Tagen ab, zielt darauf, den iranischen Staat in seinen Grundfesten zu erschüttern. Mit Luftschlägen gegen das Staatsfernsehen genauso wie auf die Trinkwasserversorgung in Teilen der Hauptstadt. Auch der Aufruf an die Einwohner Teherans, sie sollten die Stadt verlassen, ist ein Akt der psychologischen Kriegsführung. Im Großraum Teheran leben 16 Millionen Menschen, die Stadt ist schon in friedlichen Zeiten ein Moloch im Dauerstau. Entsprechend groß – und beabsichtigt – ist die Panik, die Israel mit der Aufforderung zur Flucht gesät, und die beginnende Versorgungskrise, die sie ausgelöst hat. Bäckereien geht das Mehl aus, Tankstellen das Benzin. Denn Israels Luftwaffe hat auch wichtige Sprit-Depots am Rand Teherans in Flammen aufgehen lassen.

Israels Regierung, die angeblich nur wegen des gefährlichen Atomprogramms in den Krieg zog, ruft inzwischen offen zum Sturz des iranischen Regimes auf. 

Soweit ist es noch nicht. Die Mächtigen in Teheran wissen: Für sie gibt es keinen Ausweg, keine Alternative – außer, an der Macht zu bleiben. Noch haben sie die Mittel dazu.

Kipp-Punkt zum Staatszerfall

Doch wann ist der Kipppunkt erreicht, an dem die staatliche Ordnung anfängt, sich aufzulösen? Wenn die Gesundheitsversorgung nicht mehr funktioniert? Wenn Plünderungen beginnen? Oder wenn ein plötzlicher Währungsverfall einsetzt, etwa, weil ein Zusammenbruch des Öl- und Gas-Exports über Irans Häfen einen Staatsbankrott auslöst?

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Sicher ist: Wenn dieser Prozess einsetzt, wird er kaum noch aufzuhalten sein. Denn es gibt kaum jemand, der dem Chaos dann Einhalt gebieten könnte. Das iranische Regime hat über Jahrzehnte jede Alternative zu seiner Herrschaft ausgeschaltet. Es gibt auch keine halbwegs disziplinierte Truppe, die aus dem Exil heraus die Kontrolle übernehmen könnte. Irans Zivilgesellschaft ist zersplittert. Und ausländische Truppen wird es im Iran nicht geben.

Ein Land in Auflösung zusammenzuhalten – mit über 90 Millionen Einwohnern, zig ethnischen Gruppen und den zweitgrößten Ölreserven der Welt – wäre ein Himmelfahrtskommando. Siehe: Irak (45 Millionen Einwohner, plus Öl). Siehe: Afghanistan (41 Millionen Einwohner, kein Öl). Hunderttausende neue Flüchtlinge würden versuchen, nach Europa zu kommen, wenn sich das Riesenland Iran in einen von Warlords beherrschten Flickenteppich verwandelte. Manche davon – möglicherweise – mit ihrem eigenen, abgezweigten Häufchen angereicherten Uran.

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Zweitens: Israel behauptet, der Zeitpunkt des Angriffs sei unumgänglich gewesen, da der Iran unmittelbar von dem Break-Out gestanden habe, vor dem letzten Schritt zum Bau einer Bombe. Beweise dafür hat die Regierung in Jerusalem bisher offenbar nicht einmal den engsten Verbündeten in Amerika vorgelegt. 

Rafael Grossi, Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEO), dessen Inspekteure bis heute im Iran arbeiten, widerspricht: "Wir haben keinerlei Beweise für einen systematischen Versuch (des Iran), eine Atomwaffe zu bauen." Auch Tulsi Gabbard, Donald Trumps eigene Geheimdienstkoordinatorin, hat erst im März vor dem US-Kongress zu Protokoll gegeben: "Der Oberste Führer Khamenei hat das Atomwaffenprogramm, das er im Jahr 2003 eingestellt hatte, nicht (wieder) zugelassen." Die US-Geheimdienste seien weiter überzeugt, "dass der Iran nicht dabei ist, eine Atomwaffe zu bauen".

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"Mir egal", sagt US-Präsident Donald Trump. Sieht Friedrich Merz das ähnlich? 

Ist dem deutschen Kanzler das Völkerrecht nicht so wichtig? Sogar manche Liberale argumentieren heute ja, die internationalen Spielregeln der Nachkriegszeit seien inzwischen so lange mit Füßen getreten worden, und zwar von allen, dass man selbst auch darüber hinwegsehen könne. Wenn doch ganz offenbar das Recht des Stärkeren das Recht ersetzt hat, so diese Logik, dann muss man eben sehen, wo man bleibt.

Denkt Friedrich Merz auch so? Lässt er darum seinen Außenminister Johann Wadephul mantraartig erzählen, man gehe davon aus, die USA würden schon nicht eintreten in den Israel-Iran-Krieg, während Donald Trump in den sozialen Medien Irans Staatschef mit dem Tod bedroht, Bomberstaffeln Richtung Persischer Golf schickt und postet: "Wir kontrollieren den Himmel über Teheran."

Europäische Krisen-Diplomatie im Iran: Außenminister Joschka Fischer (l.) in Teheran im Oktober 2003. Neben ihm (v.l.n.r.): Irans damaliger Außenminister Kamal Charrazi, Frankreichs Außenminister Dominique de Villepin, und dessen britischer Amtskollege Jack Straw © Abedin_Taherkenareh / Picture Alliance

Statt markiger Worte sollte sich Merz der Erfolge der deutschen Iran-Diplomatie erinnern. Und seinen Außenminister nach Teheran schicken, um eine letzte Chance für die Diplomatie zu suchen – in enger Abstimmung mit den Verbündeten Washington und Jerusalem, aber unabhängig von deren Zustimmung. So wie 2003, als der damalige Außenminister Joschka Fischer im Verbund mit seinen französischen und britischen Amtskollegen auf einer spektakulären Mission nach Teheran das Kunststück fertigbrachte, das Regime zur Aufgabe seines damaligen Atomwaffenprogramms zu bewegen – und einen drohenden Krieg abzuwenden.

Das befremdliche Staunen über Israels Geheimdienst

Drittens: Gefährlich, ja befremdlich ist auch das Staunen vieler Politiker in Deutschland über den "Mut" (Friedrich Merz) und die operative Brillanz des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad und der israelischen Luftwaffe. Drohnenbasen im Land des Feinds, gezielte "Enthauptungen" der wichtigsten Kader der Islamischen Republik, Künstliche Intelligenz, die Drohnen in ihre Ziele steuert – das mag aus der Ferne wie ein spannender Geheimdienst-Thriller anmuten. Die Live-Berichterstattung über die Husarenstücke des Mossad in Teheran auf "Fox News" soll Trump entscheidend dazu bewogen haben, mitmachen zu wollen bei diesem Krieg, schreibt die "New York Times".

Was dabei vergessen wird: Es ist fahrlässig, ein Regime wie das iranische so in Bedrängnis zu bringen – solange jedenfalls IAEO und US-Geheimdienste einhellig sagen, dass kein unmittelbarer nuklearer Break-Out Teherans bevorsteht. Die iranische Führung kann, wenn sie sich existenziell bedroht fühlt, sehr viel Schaden anrichten. Wird Donald Trump dann durchhalten – er, der schon gegen die Huthis im Jemen nach sechs Wochen klein beigab?

Noch etwas fehlt im Kanzler-Bild von der Drecksarbeit in Nahost: die Wirkung dieses Kriegs auf Israels andere Nachbarn in Nahost. Wie soll diese Region zur Ruhe finden, wenn ein Staat – und nur einer – dank überlegenen Waffen, Geheimdiensten und Künstlicher Intelligenz die Fähigkeit besitzt, jederzeit die komplette Führung jedes anderen zu liquidieren? Mit seinem Krieg beweist Israel nicht nur seine Dominanz als regionale Supermacht. Sondern auch, dass es sich im Zweifel von Nichts und Niemandem aufhalten lässt. Das dürfte überall in Nahen Osten Alarmglocken schrillen lassen.

"Wenn ich für die strategische Planung der Türkei zuständig wäre", schreibt ein ehemaliger Israel-Botschafter Frankreichs auf X, "dann würde ich anfangen, ernsthaft über die Option einer eigenen Nuklearwaffe nachzudenken." Nicht unwahrscheinlich, dass angesichts der Bilder aus Teheran nicht nur in Ankara, sondern auch in Riad, Doha oder Baku gerade mächtige Leute den Eindruck gewinnen: Sicherheit vor Israel gibt es nur auf einem Weg. Mit der Atombombe.

Dann hätte Israels Krieg das Gegenteil dessen erreicht, wofür er begonnen wurde.

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