Weniger als ein halbes Jahr ist seit dem Besuch von Massud Peseschkian in Moskau vergangen. Der iranische Präsident war in Moskau Mitte Januar vorstellig geworden, um ein Abkommen über umfassende Kooperation der beiden Länder zu unterzeichnen. Auf Jahrzehnte sollte die neue Partnerschaft angelegt sein. Auf den ersten Blick ist der Iran der ideale Partner für Russland: eine schwer sanktionierte Nation, deren Beziehungen zum Westen so schlecht sind, dass sie nichts mehr zu verlieren hat, ein Bruder im Geiste des revisionistischen Putin-Regimes.

Die letzten Tage haben diese Sichtweise einer Korrektur unterzogen. Was die strategische Partnerschaft zwischen Russland und dem Iran wirklich wert ist, erfährt man gerade in Teheran. Zwischen Israel und dem Iran herrscht offener Krieg. Jerusalem lässt einen iranischen Staatssender bombardieren, was in Russland Erinnerungen an die westliche Intervention in Serbien wachruft. Trotzdem: Der Kreml belässt es bei Rhetorik. Wer in der islamischen Welt darauf hoffte, Moskau werde seinem Partner Teheran zu Hilfe kommen, ist enttäuscht. Dabei war schon vor Monaten klar – das Abkommen enthält keine Klausel über militärischen Beistand.

Diese Tatsache gibt den Rahmen für Russlands Handeln vor. Wladimir Putin telefonierte zuerst mit Israels Staatschefs Benjamin Netanjahu, dann mit Massud Peseschkian und kondolierte ihm. Zugleich hieß es aus dem Moskauer Außenministerium, Israels Angriffe seien „kategorisch inakzeptabel“. Mit anderen Worten: Der Kreml nimmt eine abwartende Haltung ein – und dürfte insgeheim der weiteren Eskalation entgegenblicken – denn sie birgt auch Chancen für Russland.

Es geht dabei längst nicht nur um kurzfristige Gewinne durch den sprunghaft um knapp 15 Dollar pro Barrel gestiegenen Ölpreis oder die Ablenkung von Kremls eigenem Krieg in der Ukraine. Der Kreml hat eine größere Rolle bei der künftigen Neuordnung des Nahen Osten im Sinn - und die klingt nicht unplausibel.

Putin erklärte in seinen Telefonaten mit Netanjahu, Peseschkian und US-Präsident Donald Trump seine Bereitschaft zur Vermittlung – was zumindest Trump positiv aufnahm. Alle drei Staatschefs wissen: Russland hat Beziehungen zu beiden Kriegsparteien, die eng genug sind, um sie zu einem Waffenstillstand zu drängen. Eine Lösung unter russischer Federführung würde Russland in der Region mehr Einfluss und Ansehen verschaffen.

Trotz seiner engen Kooperation mit Teheran nach der Großinvasion der Ukraine –die der russischen Armee iranische Drohnentechnologie bescherte – ist Moskau weit davon entfernt, im Nahen Osten auf nur auf den Iran zu setzen. Der russische Staatskonzern Rosatom hat im Iran zwar ein AKW gebaut, doch eine iranische Atombombe wünscht man sich auch in Moskau nicht. Vor zehn Jahren gehörte Russland zu den Mitverhandlern des internationalen Atomabkommens mit dem Iran.

Der iranischen Armee lieferte man zwar Waffen wie veraltete Flugabwehrsysteme vom Typ S-300, die Israels Luftwaffe ausschalten und überwinden kann – aber keine modernen Nachfolgemodelle und keine Hightech-Kampfjets. Ökonomische Interdependenz zwischen den Ländern besteht kaum, der bilaterale Handel liegt bei gerade vier bis fünf Milliarden Dollar jährlich.

Auf iranische Waffen ist Russland anders als in der Frühphase des Ukrainekriegs nicht mehr angewiesen, seit die Produktion der russischen Ableger der Shahed-Drohnen in der Teilrepublik Tatarstan an der Wolga lokalisiert wurde. Iranische Raketenexporte spielen in Russlands Krieg in der Ukraine ohnehin keine große Rolle, anders etwa als Lieferungen von Artilleriemunition aus Nordkorea.

Enge familiäre Beziehungen nach Russland

Zu Israel pflegt Russland trotz scharfer Kritik an Netanjahus Gaza-Offensive gute Beziehungen. Rund 15 Prozent der Bevölkerung Israels stammen aus der ehemaligen Sowjetunion und pflegen bis heute engen familiäre Beziehungen unter anderem nach Russland. Zwischen Netanjahu und Putin gibt es eine gute Chemie. Für wiederkehrende diplomatische Krisen – den Abschuss eines russischen Transportflugzeugs durch die syrische Flugabwehr nach einem israelischen Angriff, oder die Inhaftierung einer jungen Israelin an einem Moskauer Flughafen wegen eines Drogendelikts – fanden Moskau und Jerusalem immer Lösungen.

Für Moskau ist Israel wichtig als Gegengewicht zum Iran und den Golfmonarchien - und für Jerusalem schafft Russlands anhaltende Präsenz in Syrien trotz des Zusammenbruchs des Assad-Regimes ein Gleichgewicht zum türkischen Einfluss im großen, politisch instabilen Nachbarland.

Für den Verbleib der russischen Flottenbasis in Syrien sollen die Israelis sogar in Washington Lobbyarbeit geleistet haben. Bis heute toleriert Moskau Israels Angriffe auf iranisch finanzierte und angeführte Milizen in Syrien. Selbst Russlands Zusammenarbeit mit der Huthi-Miliz hat nicht zu einer Eiszeit zwischen Moskau und Jerusalem geführt.

Nach dem weitgehenden Rückzug der Amerikaner aus der Region kann Jerusalem auf keinen halbwegs wohlwollenden Partner verzichten. Dazu kommt: Während Russlands Kooperation mit den Golfmonarchien immer enger wird, kann sich Israel nicht leisten, mit Moskau auf Konfrontation zu gehen, meint Ksenia Svetlova, Nahost-Expertin der britischen Denkfabrik Chatham House.

Teherans große Konkurrenten in der Region wie Riad sind für Russland ohnehin wichtiger - denn sie haben Mittel für Großinvestitionen in bilaterale Projekte und sind nicht sanktioniert. In Saudi-Arabien will Russland zwei Atomkraftwerke bauen. Die Golfmonarchie vermittelt zwischen Russland und den USA, erst im Februar haben sich die Vertreter beider Länder dort getroffen. Russland will nicht gerade einen Regimewechsel in Teheran. Aber mit einer Schwächung des Regimes, die zu einem Verzicht auf Atomwaffen führt, kann Moskau im Zweifel gut leben.

Pavel Lokshin ist Russland-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2017 über Russland, die Ukraine und den postsowjetischen Raum.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke