„Die Vögel wären in drei Minuten tot, ihr in 30“
Wie groß das Risiko womöglich war, wird Leona Alvior erst klar, als sie den West Hollywood Park bereits wieder verlässt. Gemeinsam mit Freunden und ihren beiden Hunden hatte sie am Samstag an der lokalen „No Kings“-Rallye im feinen West Hollywood teilgenommen, um gegen das „harte Regiment der Trump-Regierung“ zu demonstrieren. Nur eine halbe Stunde zuvor war die 58-Jährige von einer Frau, die als Ordnerin der Kundgebung auftrat, davor gewarnt worden, dass die Polizei nicht davor zurückschrecken würde, Tränengas gegen die Demonstranten einzusetzen.
„Wenn sie das in der Luft versprühen, habt ihr bei der Größe deiner Hunde zehn Minuten, bis sie tot sind“, mahnte die Ordnerin mit ernstem Blick auf die beiden Vierbeiner, die neben Leona Alvior im Gras saßen. „Die Vögel hier wären in drei Minuten tot, ihr in 30. Wenn es losgeht, müsst ihr schnell weg. Passt gut auf euch auf.“ Kaum hatte die Ordnerin ihre bedrohliche Warnung ausgesprochen, ging sie zur nächsten Gruppe, um sie zu wiederholen.
Leona Alvior und ihre Freunde zweifelten nicht daran, dass die Ordnerin überzeugt war von dem, was sie ihnen gesagt hatte. Sie alle hatten im lokalen Fernsehen die Bilder der rabiaten Auseinandersetzungen gesehen, die sich Randalierer mit der Polizei und auch dem US-Militär über Tage keine zehn Kilometer entfernt in Downtown, LA, geliefert haben. Um Vandalen und Angreifer zurückzudrängen, haben die Polizeikräfte unter anderem auch Blendgranaten und Tränengas eingesetzt.
„Viele meiner Freunde sind deshalb nicht gekommen oder haben ihre Hunde zuhause gelassen, weil sie Angst haben, dass es zu Gewalt kommt“, erzählte Leona Alvior nach der Begegnung mit der Ordnerin – und bezog sich nicht auf gewalttätige Demonstranten, sondern die Polizei. „Ich habe aber entschieden, mich nicht einschüchtern zu lassen.“ Vorsichtshalber habe sie eine Corona-Maske eingepackt, die sie im Notfall vor Rauch und Gas schützen soll. Doch dass die Polizei in einem Park in West-Hollywood an einem sommerlichen Samstag Tränengas versprühen könnte, weil rund 1000 Menschen, darunter viele Familien mit Kindern, friedlich gegen die Trump-Regierung demonstrieren, war für Leona Alvior und ihre Begleiter bis dahin undenkbar.
Dann änderte sich das. Denn kaum war der Hauptteil der Rally, wie lokale Kundgebungen an einem festgelegten Ort in den USA genannt werden, beendet, gingen auf den Handys Eilmeldungen von erneuten Ausschreitungen in der Innenstadt ein. Die Bilder verstörten viele im West Hollywood Park, und auch die Stimme von Leona Alvior klang für einen Moment nicht mehr selbstbewusst, sondern ungläubig, als sie auf den Smartphone-Bildschirm blickte und sagte: „Schaut euch das an.“
Während Donald Trump anlässlich des 250. Jahrestags der US-Armee in Washington eine pompöse Militärparade feierte, gingen parallel überall im Land hunderttausende Menschen auf über 2000 „No King“-Rallys auf die Straße, auch in der Hauptstadt am Rand der Parade. Anti-Trump-Aktivisten, darunter lokale Bürgerrechtsgruppen und Gewerkschaften, hatten die lokalen Proteste organisiert, um gegen den aus ihrer Sicht autoritären Regierungsstil des US-Präsidenten und dessen harten Gang gegen illegale Migranten zu protestieren, der an diesem Tag zudem seinen 79. Geburtstag feierte.
Alleine in Los Angeles hatte es 15 parallel laufende Kundgebungen gegeben, und nicht alle blieben friedlich. So harmonisch und bunt der Protest in West-Hollywood zwischen Spielplätzen und Hundeparks verlaufen war, so brutal endete er Downtown. Während sich die Demonstranten nach zwei Stunden vom West Hollywood Park mit wehenden Fahnen und bunten Schildern über die Melrose Avenue und den Santa Monica Boulevard auf den Weg nach Hause machten, lieferten sich Teilnehmer in den Problemvierteln erneut Straßenschlachten mit der Polizei.
Viele Demonstranten waren durch die abrupten Aufforderungen der Einsatzkräfte, die Straße zu verlassen, überrascht und fühlten sich offenbar angestachelt. Als Blendgranaten abgefeuert wurden und Tränengas zum Einsatz kam, zündeten einige Demonstranten Feuerwerk. Sie warfen Flaschen und Steine in Richtung der Uniformierten und forderten sich gegenseitig dazu auf, „die Stellung zu halten“. Fotos dokumentierten, wie die Polizei Demonstranten brüllend und mit gezückten Tränengaspistolen zurückdrängt. Die Gase verteilen sich in der Umgebung. Wer sich zufällig in der Umgebung aufhielt, lief Gefahr, ebenfalls verletzt zu werden. Helfer behandelten am Rand der Ausschreitungen Tränengas-Opfer mit Augenlösungen.
Nachdem die Gewalt in Los Angeles am Samstag wieder aufgeflammt war, meldete sich erneut Bürgermeisterin Karen Bass zu Wort. Sie verurteile die Krawalle auf den Straßen von Los Angeles, erklärte die Demokratin. Allerdings habe sie erfahren, dass zuerst die Polizei Demonstranten Downtown auf „raue Art“ zurückgedrängt habe, was zu dem erneuten Ausbruch an einigen Stellen geführt habe.
Wer ist Randalierer, wer empörter Demonstrant und wer ist nur zufällig vor Ort, weil er gerade einkaufen gehen oder ein Café besuchen wollte? Es ist eine schmale Grenze, entlang der sich die Einsatzkräfte in den Straßen der Millionenmetropole L.A. bewegen – Downtown auf dem heißen Straßenpflaster verschwimmt sie zusehends.
Es sind Bilder, die – daraus macht der US-Präsident keinen Hehl – landesweit Furcht verbreiten und davor warnen sollen, bei allem konformen Widerstand gegen seine Politik eine Grenze zu überschreiten, die unter Trump für viele im demokratisch geprägten Hollywood zunehmend willkürlich gesetzt scheint. Die Reaktionen der Rally-Teilnehmer im West Hollywood Park zeigen, dass Trumps Einschüchterungen zwar durchaus Erfolg haben.
Hollywood ist gegen Trump nun im offenen Widerstand
Mit seinem harten und unnachgiebigen Durchgreifen hat der US-Präsident aber womöglich auch etwas erreicht, was mittelfristig für ihn zum Problem werden könnte. Obwohl Trump inzwischen – offiziell nach Gesprächen mit einigen US-Unternehmern – angekündigt hat, seine Razzien gegen illegale Migranten vor allem in der Landwirtschaft und der Gastronomie auszusetzen, um den Unternehmen „nicht ihre langjährigen Arbeiter zu nehmen, die sie sehr lieben“, haben sich die „No Kings“-Rallys durch die landesweiten Proteste als eine Art Anti-Trump-Bewegung etabliert. Und sie werden nicht mehr alleine durch eingefleischte Anhänger der Demokraten gefüttert, sondern zunehmend von empörten und besorgten Bürgern. Hollywood, das zeigt sich im Alltag an den stolz wehenden Regenbogenfahnen und „Resist“-Plakaten an jedem zweiten Ladengeschäft, ist jetzt offen im Widerstand gegen den US-Präsidenten – und denkt nicht daran, klein beizugeben.
So sehen es nach dem ersten Schock über die erneuten Krawalle zumindest Leona Alvior und ihre Freunde. „Wir lassen uns von Trump unsere Stimme nicht nehmen.“ Sie überlegt aber, ob sie die Hunde beim nächsten Mal vorsorglich zuhause lassen soll.
Sandra Hackenberg ist Redakteurin im Wirtschaftsressort. Sie schreibt über den Standort Deutschland, internationale Wirtschaftspolitik und Immobilien. Aktuell arbeitet sie für mehrere Monate für WELT in den USA.
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