Als Verena Hollers Sohn fragte, wann er eigentlich ein Handy bekomme, war er in der dritten Klasse. Zehn Jahre ist das jetzt her. „Mein großer Sohn ist heute ganz froh, dass er nicht so früh ein Smartphone und Social Media hatte. Er blickt da heute sehr kritisch drauf“, sagt Holler, Rechtsanwältin aus Hamburg und dreifache Mutter. Ihre beiden großen Kinder haben erst mit 14 Jahren ein Smartphone bekommen, und die Kleinste, zehn Jahre, hat derzeit ein altes Tastenhandy, auf dem eine Zahl mit drei Buchstaben versehen ist.

Zwar kann sie damit auch SMS schreiben, aber das Schreiben eines längeren Satzes dauert Minuten. „Bei meiner Tochter haben wir das Glück, dass eine große Einigkeit herrscht bei den Eltern in der Klasse“, sagt Holler. „Wir haben uns mit ganz großer Mehrheit dafür entschieden, dass die allermeisten Kinder erst in der achten Klasse ein eigenes Smartphone bekommen. Deshalb ist es für sie okay.“

Weil es so wichtig sei, Absprachen mit anderen Familien zu treffen, hatte Verena Holler schon, kurz nachdem ihr Sohn damals gequengelt hatte, die Elterninitiative „Smarter Start ab 14“ gegründet. Allein in den vergangenen drei Monaten verzeichnete ihre Homepage 25.000 Klicks. Viele Eltern schreiben ihr, wie erleichtert sie sind, dass sie sie entdeckt haben. „,Es gibt noch Menschen, die so denken wie ich‘ ist ein Satz, den wir häufig lesen oder hören“, sagt Holler.

Im vergangenen Dezember hatte sie gemeinsam mit drei Mitstreiterinnen anlässlich der Kultusministerkonferenz eine Petition zum Thema smartphonefreie Schulen eingereicht. Innerhalb von drei Monaten hatten 65.000 Befürworter unterzeichnet. Zwar strengen einzelne Bundesländer wie Hessen, Baden-Württemberg und Bremen bereits Schulgesetzesänderungen an – doch es fehlen bundesweit einheitliche Regelungen.

Auch die zweite Petition der Elterninitiative hatte Anfang des Jahres mühelos das Quorum von 30.000 Unterschriften überschritten, sodass einer Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestages nun nichts mehr im Wege steht. Gefordert wird die Einführung eines gesetzlichen Mindestalters von 16 Jahren für kommerzielle Social-Media-Plattformen wie Instagram, TikTok und Snapchat. Gleiches verlangte zu Beginn der Woche auch Daniel Günther (CDU), Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Einen entsprechenden Leitantrag will der Landesverband bereits in der kommenden Woche beschließen.

Zwar müssen laut Datenschutzgrundverordnung alle Plattformen bereits jetzt die Einwilligung der Eltern einholen zur Verarbeitung der personenbezogenen Daten aller Kinder unter 18 Jahren. Doch dies geschieht nicht. Laut der neuen Forderung sollen die Plattformen nun zu einer Altersüberprüfung verpflichtet werden, andernfalls drohen hohe Geldstrafen.

„Man muss Anreize setzen, am Geschäftsmodell der Plattformen etwas zu ändern und an der Art und Weise, wie sie ihre Algorithmen steuern“, erklärt Holler. „Wenn man eine effektive Alterskontrolle und ein Mindestalter festsetzt, könnten sich andere, bessere Produkte entwickeln, die Themen filtern und den Jugendschutz beachten, ohne glücksspielähnliche Elemente und manipulative Gestaltungsmuster. Solange die bekannten Plattformen eine Monopolstellung haben, wird das aber nicht funktionieren.“

Weder Smartphones noch Social Media seien ursprünglich für Kinder als Hauptkunden konstruiert worden, sagt Holler. „Wie wären sie konstruiert, hätte man gewusst, dass sich bereits Kinder ab neun Jahren dort tummeln? Wir müssen die Voraussetzungen für einen Neustart und einen digitalen Raum schaffen, in dem sich auch Kinder sicher bewegen können.“

Fünf bis sechs Stunden pro Tag am Handy

Laut einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf nutzen 1,3 Millionen Kinder und Jugendliche – also jedes vierte Kind zwischen 10 und 17 Jahren – digitale Medien riskant oder sogar krankhaft. Neue Zahlen des Digitalverbands Bitkom zeigen: Fünf bis sechs Stunden verbringen Jugendliche durchschnittlich pro Tag am Handy, das gilt für Deutschland sowie für weite Teile der Welt. 83 Prozent der Zehn- bis Elfjährigen besitzen demnach bereits ein Smartphone, ab zwölf Jahren hat nahezu jeder eines. Das Smartphone ist zum ständigen Begleiter geworden – auch in der Nacht.

Hochproblematisch sei der Zugang schon der jüngsten Nutzer zu Inhalten wie Gewalt, Pornografie, Kriegsverherrlichung, Propaganda und Fake News, sagt Holler. „Das sind Dinge, die wir im physischen Leben versuchen, von unseren Kindern fernzuhalten. Auf dem Handy werden etwa Verbrechen unverpixelt gezeigt und verbreiten sich wie ein Lauffeuer über die sozialen Netzwerke. Normalerweise würde ein Kind psychologischen Beistand bekommen, wenn es solche Dinge mitansehen muss.“

Eine weitere wichtige Frage sei zudem, was das Kind in der Zeit verpasst, in der es am Handy ist. „Egal, wie pädagogisch wertvoll das Spiel ist – wäre es nicht vielleicht schöner gewesen, wenn das Kind sich mit Freunden getroffen oder draußen Fußball gespielt hätte, ein Buch gelesen oder sich gelangweilt hätte?“, fragt Holler. Kindheit sei ein wichtiger Entwicklungsabschnitt: „Es ist nicht egal, wie man seine Kindheit verbringt. Es hat Auswirkungen darauf, wie man später als Erwachsener ist.“

Holler lädt regelmäßig Experten wie Kinderärzte, Neurobiologen, Medienpädagogen oder Rechtsanwälte ein, die in Webinaren das Thema „Elternsein im digitalen Zeitalter“ beleuchten. Für jedes Seminar gehen mehrere Tausend Anmeldungen ein. Die Idee sei, dass man mit dem neuen Wissen dann im eigenen Umfeld eine Community gründe und Medienelternabende organisiere. Damit sich die Idee, Kinder wieder ohne Handy aufwachsen zu lassen, langsam im ganzen Land verbreite.

Politikredakteurin Freia Peters berichtet für WELT über Familien- und Gesellschaftspolitik sowie Bildung.

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