Wozu der Iran militärisch im Stande ist
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich im April 2024. Der stern veröffentlicht ihn angesichts der neuesten Eskalation erneut.
Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran eskaliert erneut: Israel griff in der Nacht zu Freitag den Iran an. Erneut ist sie da, die Angst, dass das einmal entfachte Feuer so schnell niemand gelöscht bekommt – und es nicht nur auf den gesamten Nahen Osten überspringen könnte.
Das wird auch davon abhängen, zu was der Iran militärisch überhaupt fähig ist: Handelt es sich um eine Super- oder eine Scheinmacht?
Feuern und leugnen
Dem Global Firepower Index 2025 zufolge liegt der Iran derzeit auf Platz 14 der schlagkräftigsten konventionellen Militärmächte – einen Rang vor Israel (und drei vor Deutschland). Insgesamt setzen sich die iranischen Streitkräfte aus rund 610.000 aktiven Soldaten und 350.000 Reservisten zusammen. Hinzu kommen etwa 1713 Panzer, rund 1517 Raketenwerfer und etwa 3400 Haubitzen. Weltberüchtigt sind allerdings die bewaffneten Hüter der Islamischen Republik. Die Revolutionsgarde entstand kurz nach der namensgebenden Islamischen Revolution 1979. Sie sollte ein Gegenpol zu den regulären Streitkräften bilden und das klerikale System schützen. Heute bilden die etwa 190.000 Revolutionswächter eine Armee in der Armee – mit eigenen Boden-, See- und Luftkräften. Die Elitekämpfer unterstehen direkt dem Obersten Religionsführer Ali Chamenei. Der Dienst in der Garde gilt zudem als Pflichtsprungbrett für eine politische Karriere. Fast alle Kabinettsmitglieder sind ehemalige Gardeoffiziere.

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Hinzu kommen Hunderttausende, vermutlich gar Millionen sogenannte Basidschis, Milizionäre, die dem Regime in Friedenszeiten innenpolitisch dienen, indem sie die islamischen Gesetze durchprügeln, Proteste gewaltsam niederschlagen und Dissidenten entlarven. Die al-Kuds sind derweil der außenpolitische Schlagstock der Mullahs. Die Brigadisten dienen als Spione, beliefern Verbündete und bilden israelfeindliche Organisationen überall im Nahen Osten aus. Die jemenitischen Huthis, die irakischen Volksmobilisierungskräfte, die Hamas in Gaza und vor allem die libanesischen Hisbollah kochen alle nach ihrem Rezept. Tatsächlich hat es Teheran zum Meister des Stichelns gebracht. Mit verdeckten Operationen oder der aus dem Halbschatten organisierten Finanzierung von Terrorgruppen testet das Regime immer wieder die Stärke des israelischen und damit auch US-amerikanischen Geduldsfadens. Feuern lassen, leugnen können, so die Devise.
Rost in der Luft
Aus Mullah-Sicht ist jedoch nicht Quantität, sondern die Qualität das Problem. Im Gegensatz zur hochmodernen, von den USA gestützten israelischen Armee muss der Iran in vielen Fällen auf veraltete Technik zurückgreifen. Nachholbedarf besteht besonders in der Luft. Global Firepower zufolge könnten nach aktuellem Stand etwa 186 Kampfjets abheben. Israel hat mit 241 einsatzbereiten Fliegern nicht nur die zahlenmäßige, sondern vor allem auch die technologische Lufthoheit. Schließlich sind viele der iranischen Maschinen völlig überholt, schreibt selbst die regierungsnahe iranische Zeitung "Tehran Times". Das würde es dem Iran "sehr schwer machen, mit einer Bodeninvasion dauerhafte Fortschritte zu erzielen", schreibt der US-Militärexperte Kris Osborn in einem Beitrag für das Online-Fachmagazin "Warrior Maven".

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Die Schwachstelle versucht die Islamische Republik deshalb anderweitig auszugleichen. Iranische Drohnen sind nicht nur effektiv, sondern vor allem günstig in der Produktion, was sie nicht zuletzt beim Verbündeten Russland begehrt macht. Wie präzise die neueste Generation iranischer Raketen und Marschflugkörper wiederum ist, zeigte sich im Mai 2025, als der Iran unter anderem Ziele in Syrien attackierte, die mit Israel in Verbindung gebracht wurden. Der Iran verfügt dem Wisconsin Project on Nuclear Arms Control zufolge über das "größte und vielfältigste" Raketenarsenal im Nahen Osten, laut US-Militärs liegen etwa 3.000 ballistische Raketen bereit. Viele Typen davon könnten ohne Probleme nukleare Sprengköpfe tragen.
Wenig trennt den Iran von der nuklearen Macht
Nun ist all das Feuern im Konjunktiv völlig bedeutungslos, sobald das Wort mit A fällt. Bislang haben die USA gut daran getan, ein iranisches Atomwaffenprogramm zu verhindern. Unter dem wenig kompromiss-, dafür umso vermächtnisaffinen US-Präsidenten Donald Trump war die westliche Leitmacht aus dem Atom-Abkommen ausgestiegen. Seitdem treibt die Sorge vor einer möglichen nuklearen Aufrüstung Irans Diplomaten aus aller Welt den Angstschweiß auf die Stirn. Iranische Staatsmedien berichteten, dass der Iran die vollständige Kontrolle über den nuklearen Brennstoffzyklus erreicht habe und über 408,6 kg 60-prozentig angereichertes Uran verfüge, genug für potenziell mehrere Kernwaffen bei weiterer Anreicherung. Von da aus ist es nicht mehr weit bis zu den für Kernwaffen erforderlichen 90 Prozent. In Sachen atomare Abschreckung spielt der Iran also bereits mit. Die Sorge wächst, dass Teheran die Lage in Gaza und im Libanon ausnutzen könnte, um die sprichwörtlich letzten Meter zu gehen und den Westen so zur Aufhebung der massiven Sanktionen zu zwingen. "Die derzeitige iranische Verteidigungsstrategie, die auch als 'Forward Defense-Strategy' (Verteidigung nach vorne) bekannt ist, stützt sich auf drei Säulen: ein fortgeschrittenes Atomprogramm, ballistische Raketen und Stellvertreterkräfte", so die US-Denkfabrik "Stimson Center".

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Grauzone als Wohlfühloase
So gerne der Iran öffentlichkeitswirksam die Messer wetzt – lange konzentrierte sich Teheran vornehmlich auf seine Rolle als Terrorsponsor, sei es als Gönner der Hamas oder der Huthi-Rebellen. Wie Michael Eisenstadt für die britische Denkfabrik "Chatham House" schreibt, "hat sich die Islamische Republik weitgehend auf Aktivitäten in der 'Grauzone' zwischen Krieg und Frieden verlassen". Wenn doch aber Munition, Männer und Hass gleichermaßen vorhanden sind, woran hapert es dann bisher? Die Scheu vor einem konventionellen Kampf rühre von den traumatischen Erfahrungen des Krieges mit dem Irak, so Eisenstadt. Seitdem sei der Iran im Machtpoker deutlich vorsichtiger geworden, "wobei risikoscheu nicht gleichbedeutend mit risikovermeidend ist". Vor einigen Jahren behauptete Ghassem Soleimani, der damalige Kommandeur der al-Kuds-Brigaden, "Israel könnte in einer einzigen Operation in die Luft gesprengt werden".
Verbale Eskalation aber das Vermeiden offener Kampfhandlungen prägten die Teheraner Politik. Mit dem großangelegten Bombardement Israels wird der Iran diese Haltung aufgeben müssen. Nun wird sich die tatsächliche Schlagkraft des Irans zeigen. Wird Teheran mit seiner großen Anzahl an Raketen und Drohnen effektiv zurückschlagen können?
Quellen: "Global Firepower"; "Chatham House", Reuters; "Warrior Maven"; "Stimson Center"; "Iran Watch"
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