„Wir dachten, wir sind jetzt hier im Bürgerkrieg. Das war ein schönes Gefühl“
Julia Ruhs hatte die Konfrontation gesucht. „Was jetzt kommt, wird vielleicht nicht jedem gefallen“, sagte sie zum Einstieg der ersten Ausgabe ihres Reportageformats „Klar“, in dem sie sich der Asylpolitik widmete.
Von Nicole Diekmann bis Jan Böhmermann folgte daraufhin breite Kritik am Magazin – die Ruhs für sich zu nutzen wusste. Ohne inhaltlich auf die Rezensionen einzugehen, scherte sie kurzerhand von „taz“ und „Spiegel“ bis „Titanic“ und „Übermedien“ die halbe Medienlandschaft über einen Kamm. „Wer eben genannte Medien und Personen ebenfalls öfter sehr fragwürdig findet, ist bei uns dagegen sehr richtig!“
Aus aufmerksamkeitsökonomischer Sicht dürfte ihre selbstreferentielle Werbestrategie geholfen haben, die gewünschte Zielgruppe anzusprechen und zu binden, doch fraglich bleibt, ob sie damit ihrem angestrebten Bild von seriösem Journalismus entspricht. In der zweiten Ausgabe blickte Ruhs am Mittwoch auf die Landwirtschaft – und blieb dabei ihrem boulevardesken Einschlag treu.
„Erschöpft, missachtet, gefrustet von der Politik – unsere Bauern“, moderiert sie die Produktion von BR und NDR an. Landwirte ärgerten sich über Preisdruck und Bürokratie, doch „vor allem“ fühlten sie sich „ausgegrenzt“ und „diffamiert“.
Die Bauern, der liebe Gott und die EU
Immer wieder kommt „Klar“ in der zweiten Ausgabe auf Thomas Schneekloth zurück, Landwirt in der 14. Generation und „Urgestein der Bauernproteste“. Eigentlich müsse er sich „nur nach dem lieben Gott richten“, wäre da nicht die Europäische Union.
Jeden Tag erreichten ihn „irgendwelche Hiobsbotschaften“ aus Politik und Wirtschaft, die er mit seinen Mitstreitern von der Protestbewegung „Land schafft Verbindung“ (LsV) teilt. Mit fünf Klicks informiere er kurzerhand 5.000 Menschen, wie er stolz veranschaulicht. Er sehe sich als denjenigen, „der die Leute ein bisschen mit anzündet“.
Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt sich, als der Landwirt von einer Demonstration in Brüssel erzählt, wo insbesondere belgische und französische Kollegen Feuer gelegt hätten. „Wir dachten, wir sind jetzt hier im Bürgerkrieg“, erinnert er sich lachend. „Das war ein schönes Gefühl, um Aufmerksamkeit zu kriegen.“
Vom Bild des radikalen Bauern wolle er sich distanzieren, doch ein gewisses Amüsement kann der Landwirt aus Bersbek kaum verhehlen. Zumindest Julia Ruhs bemerkt in einem kritischen Einwurf, dass bei den Protesten in der belgischen Hauptstadt auch drei Polizisten verletzt worden seien.
Früher CDU, jetzt bleibe nur noch die AfD, sagt der Landwirt
Seine politische Haltung sei gleich geblieben, versichert Schneekloth. Ein „totaler Linksruck“ sei dagegen durch die Union gegangen. Früher habe er „fest bei der CDU“ gestanden, zwischenzeitig habe er die Freien Wähler unterstützt, jetzt bleibe ihm bei Wahlen nur noch die AfD, „die andere konservative Partei“.
Was er davon halte, dass der Verfassungsschutz die Partei als rechtsextremistisch einstufe? „Glaub’ ich nicht.“ Die Partei wolle die hiesige Landwirtschaft vor ausländischer Konkurrenz schützen. Dass sie Subventionen streichen wolle, störe ihn nicht. Er sei ohnehin dagegen, dass Landwirte auf diese angewiesen seien.
Ralf Arnold aus dem Allgäu, der seinen Biohof aus bürokratischen Gründen in einen konventionellen Betrieb ändern musste, sieht es ähnlich. Er fühle sich „zum Bittsteller degradiert“. Kommentierend springt ihm Julia Ruhs bei. „Viele Bauern möchten gar keine Subventionen“, behauptet die Journalistin, „sondern lieber angemessene Preise für ihre Produkte.“
Dabei standen die drohenden Mehrbelastungen in Form einer Agrar-Kfz-Steuer und der Streichung der Steuerentlastung beim Agrardiesel doch im Fokus der letztjährigen Bauernproteste. Dank des Bauernverbands finden sich nun diese zentralen Forderungen im Koalitionsvertrag.
Nur ein Wunsch verbindet alle Bauern
In der Bundesregierung hätte nun eigentlich auch Günther Felßner sitzen sollen. Doch der Präsident des Bayerischen Bauernverbands zog sich als Bewerber für das Amt des Landwirtschaftsministers zurück, nachdem Vertreter von Animal Rebellion ihm buchstäblich aufs Dach gestiegen waren und bengalische Feuer entzündet hatten.
„Wehret den Anfängen!“, ruft er bei „Klar“ den „Terroristen“ hinterher. Besagte Aktivisten kommen im Gespräch „brav“ daher, wie Ruhs feststellt. Von ihrer Aktion distanzieren sie sich nicht, aber Bengalos als „visuelles Aktionsmittel“ wollen sie künftig „vielleicht nicht mehr benutzen“.
Wie anspruchsvoll die Position des Bundeslandwirtschaftsministers ist, verdeutlicht gegen Ende der unlängst aus dem Amt geschiedene Cem Özdemir. Landwirte äußerten „zum Teil sehr unterschiedliche Wünsche“, sagt der Grünen-Politiker. „Die einen sagen, Umweltauflagen weg, die anderen sagen genau das Gegenteil.“
Nur der Wunsch nach Planungssicherheit und die lähmende Bürokratie verbinden alle. Alois Rainer scheint es zu ahnen. „Du musstest auch viel aushalten“, sagt der CSU-Politiker bei der Amtsübergabe zu seinem Vorgänger, während er ratlos die Schultern hochzieht. „Schaun mer mal, was auf mich zukommt.“
Dominik Lippe berichtet für WELT regelmäßig über die abendlichen Polit-Talkshows. Der studierte Biologe ist Absolvent der Axel Springer FreeTech Academy.
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