Der Volksbegriff der AfD – Grund für ein Verbot?
- Verfassungsschutz: AfD-Positionen gegen das Grundgesetz
- Beispiel für fehlende Distanzierung aus Sachsen: Roland Ulbrich
- AfD-Verständnis von "Volk" ist populär – aber nur privat zulässig.
Das vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) noch nicht veröffentliche Gutachten zur Einstufung der gesamten Alternative für Deutschland (AfD) als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" liest sich wie eine Blaupause für einen möglichen Verbotsantrag gegen die Partei. Zwar hat es im Bundestag im Februar dafür keine Mehrheit gegeben. Mit der geplanten neuen amtlichen Einstufung der AfD könnte das Thema jetzt aber wieder aufkommen.
BfV-Gutachten noch inoffiziell

Doch vorläufig hält sich das Amt noch zurück. Nach Klage und Eilantrag der AfD gegen ihre neue Einstufung wiederholt die Behörde ihre am 2. Mai veröffentliche Analyse bis zu einer juristischen Klärung öffentlich nun nicht mehr. Es hat eine Stillhaltezusage abgegeben.
Davon unberührt bleiben aber die zum Teil durch Gerichte bereits bestätigten Einstufungen der AfD-Landesverbände in Thüringen (2021), in Sachsen (2023) und Sachsen-Anhalt (2023) als "gesichert rechtsextrem". Gegen ihre geheimdienstliche Beobachtung auf dieser Grundlage auch in Brandenburg geht die AfD ebenfalls juristisch vor, wie sie es zuletzt auch in Sachsen und Thüringen wieder versucht.
Da die BfV-Pressemitteilung vom 2. Mai gut fünf Tage publik war und das Gutachten weitläufig kursiert, lassen sich Schlüsse auf die Argumente des Verfassungsschutzes zur Begründung seiner Einstufung aber schon ziehen. In den Fokus rückt das Amt demnach ein angeblich ethnisches, völkisch-abstammungsmäßiges, nationalistisches und teils rassistisch bzw. biologistisches Volksverständnis, das die AfD zur Grundlage ihrer Politik gemacht habe.
Verfassungsfeindliche Positionen
In der am 8. Mai aufgrund der Stillhaltezusage zurückgezogenen BfV-Mitteilung hieß es: "Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar." Es ziele darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen von gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabe auszuschließen und, sofern die AfD die Machtmittel dazu hätte, "sie einer nicht verfassungskonformen Ungleichbehandlung auszusetzen".

Damit legt der Bundesverfassungsschutz den Fokus auf einen Aspekt, der es erlauben könnte, ein aggressiv-kämpferisches Agieren der Partei gegen die Ordnung des Grundgesetzes mit rein politischen Mitteln nachzuweisen – und mit dem Blick auf Wahlergebnisse der AfD auch ohne Nachweis gewaltsamer Umsturzpläne vielleicht sogar ein Parteiverbot zu begründen.
Durchaus listen die 1.000 Seiten Gutachten auch Verbindungen von Mandatsträgern und Vertretern aller Ebenen der Partei zu rechtsextremen und zum Teil gewaltbereiten Gruppen auf, auch zu "Reichsbürgern" wie der Ex-AfD-Bundestagsabgeordneten und Richterin Birgit Malsack-Winkemann. Seit 2024 steht sie in Frankfurt/Main wegen des Vorwurfs terroristischer Umtriebe und der Vorbereitung eines hochverräterischen Umsturzes vor Gericht.
Darüber hatte auch eine MDR-Dokumentation berichtet, die im neuen BfV-Gutachten zudem als Quelle für Äußerungen in der Chat-Gruppe "Stammtisch Pirna" aufgeführt wird, wo AfD-Kommunalpolitiker über diesen "Staatsstreich zur Abwehr des laufenden kommunistischen Staatsstreichs" kommunizieren. Den Chat hatte nach den zitierten Recherchen des MDR der sächsische AfD-Bundestagsabgeordnete und Ex-Polizist Steffen Janich eingerichtet.
Auch vermeintliche Nähe zum Nationalsozialismus ist ein großes Thema in dem BfV-Gutachten. Zur Bedeutung einschlägiger Zitate etwa des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke, von Alexander Gauland, aus Kreisverbänden der AfD, bei Facebook und Chat-Gruppen für eine mögliche Einstufung der Partei als verfassungsfeindlich, zitiert die Behörde ausführlich auch aus Urteilen des Bundesverfassungsgerichts: Nach diesen hat der Nationalsozialismus für das heutige Deutschland "eine gegenbildlich identitätsprägende Bedeutung".

Das Grundgesetz sei dazu "geradezu als Gegenentwurf" zu sehen, weshalb positiven Bewertungen des Nationalsozialismus eine "erhebliche indizielle Bedeutung" für die Frage nach Verfassungsfeindlichkeit zukomme.
Auch die "Systemfrage" stellen laut dem Gutachten einige AfD-Vertreter. Konkrete Anhaltspunkte für Pläne zur Gewaltanwendung bei ihrer Lösung gibt es demnach aber nicht, wenn auch gelegentliches Befürworten.
Menschenwürde und Menschenbild
Dafür rückt in der BfV-Analyse die Menschwürde in den Mittelpunkt. Unvereinbar mit ihrer Garantie sind demnach Vorstellungen, die einen grundsätzlichen Achtungsanspruch eines jeden einzelnen Menschen von etwas anderem als seinem bloßen Menschsein abhängig machen.
Patriotismus, Heimatliebe und Eintreten für sozialen Zusammenhalt stelle Menschwürde nicht in Frage, heißt es beim BfV. Anders sei das aber, "wenn in völkisch-nationalistischer Weise" ein "Überleben des Volkes als Organismus zum Ziel des politischen Handelns" werde und das bestimmte Menschen "qua Geburt" als "Fremde" ausschließe – etwa auch durch eine "Ausrichtung des Zuwanderungs- und Staatsangehörigkeitsrechts an ethnischen Kriterien".
Laut BfV geht es hier um Konzepte, die "Völker" durch "Exklusion von als 'fremd' definierten Entitäten" als homogene Kollektive konstruieren. Das stelle "die Subjektqualität des Individuums und den aus der Menschenwürde folgenden Achtungsanspruch des Einzelnen in Frage" und führe auch zu einer "Verweigerung elementarer Rechtsgleichheit" für alle Menschen, "die nicht der ethnisch definierten 'Volksgemeinschaft' angehören."
Die "Schwelle zur Verfassungsschutzrelevanz" wäre laut Verfassungsschutz überschritten, wenn das politisches Ziel werde und damit die Rechtsgleichheit aller Bürger in Frage gestellt – auch wenn nach ethnischer Zugehörigkeit zwar abgewertet, auf Ausbürgerungen aber verzichtet würde. Denn es gehe ja hier nicht nur um "Remigration", sondern auch um Diskriminierungen an sich.
Belege aus Ost und West werden zitiert
Für das BfV steht laut Gutachten fest, dass von der AfD "weiterhin ein Volksverständnis vertreten wird", dem zugrunde liege, "das deutsche Volk bestehe nicht aus der Gesamtheit aller Staatsangehörigen, sondern aus der Gesamtheit der 'ethnischen' Deutschen". Als Belege werden hunderte Zitate öffentlicher Äußerungen geliefert, aus der AfD-Führung, viele aber auch aus Landes- und Kreisverbänden und insgesamt aus allen Bundesländern.
Dafür stehen auch AfD-Plakate wie "Abschieben, Abschieben, abschieben" und Begriffe wie "Messermigration" als Belege für die Verunglimpfung von Migranten. Die Zitate dazu stammen nicht nur aus dem Osten.

Auch auffällige Grenzgänger sind dabei, etwa die Bundestagsabgeordnete Christina Baum, Zahnärztin aus Thüringen, die 1985 in der nach ihren Worten "ethnisch homogenen DDR" einen Ausreiseantrag stellte und 1989 raus durfte. Sie kam 2021 über Baden-Württembergs AfD-Liste in den Bundestag, wurde dort 2025 aber nicht wieder aufgestellt. So trat sie in Sachsen-Anhalt im Harz als Direktkandidatin an und gewann.
Baum, die schon 2015 einen "schleichenden Genozid am deutschen Volk durch die Einwanderungspolitik der Grünen" witterte, wird etwa mit dem Facebook-Beitrag zitiert: "Der Begriff des Volks bezieht sich ganz eindeutig auf eine Abstammungsgemeinschaft."
Selbstverständlich gibt es ein deutsches Volk unabhängig vom Pass.
Doch in Deutschland, wird Baum weiter zitiert, werde "jeder zum Rassisten erklärt, der sich für den Erhalt des eigenen deutschen Volkes als ethnische Einheit einsetzt", denn das Ziel der "selbsternannten 'Eliten' ist die Zerstörung dieser stabilen Strukturen." Und in einem weiterem Zitat von Baum heißt es: "Wir dürfen nicht zulassen, dass man zum 'deutschen Volk' nicht mehr durch Abstammung gehört, sondern durch Übertreten der Landesgrenze."
Von Sachsens AfD-Landeschef Jörg Urban wird dazu die Äußerung angeführt: "Selbstverständlich gibt es ein deutsches Volk unabhängig vom Pass, genauso wie es ein französisches, ein jüdisches oder ein polnisches Volk gibt".
Das sächsische AfD-Landesvorstandsmitglied Andreas Harlaß soll auf Facebook "nationale Homogenität" gefordert haben, explizit mit Bezug auf den nationalsozialistischen Staatsrechtler Carl Schmitt (1888-1985).
Und AfD-Mitglied Fabian K. aus Plauen wird per Tweet zitiert: "Wer kein Deutscher ist, darf kein deutscher Staatsbürger werden." Und so ähnlich der weitaus bekanntere Maximilian Krah dazu: "Deutsche Sprache ist nicht mehr erforderlich, um deutscher Staatsbürger zu werden. Aber wehe, man unterscheidet das deutsche Volk von der Gemeinschaft der Staatsbürger."
"Konkrete Diskriminierungsabsichten"
"Konkrete Diskriminierungsabsichten" macht der Verfassungsschutz im sächsischen AfD-Programm zur Landtagswahl 2024 aus, wo es heißt, das Landeserziehungsgeld solle "nur für Eltern gewährt werden, welche die alleinige deutsche Staatsbürgerschaft besitzen". Aus dem Brandenburger Wahlkampf 2024 stammt auch die Rede von Hans-Christoph Berndt, jetzt AfD-Fraktionschef im Landtag: "Wir sind Volkspartei, weil wir als einzige Partei noch am Volk festhalten." Volk sei kein Konstrukt, sondern Realität: "Und wir halten auch am Volk, am ethnischen Volksbegriff und am Volk fest."
Das Deutsche Volk als ethnische und kulturelle Gemeinschaft ist nicht verhandelbar.
Und zur gerichtlichen Bestätigung der AfD-Einstufung als Verdachtsfall im Bereich Rechtsextremismus 2022 schrieb der AfD-Landtagsabgeordnete in Mecklenburg-Vorpommern, Horst Förster, von bewusst falscher Auslegung des Grundgesetzes, wenn "ein ethnischer Volksbegriff mit dem Grundgesetz nicht vereinbar" sein solle, denn der störe auf dem Weg in die multikulturelle Gesellschaft. Und schließlich Jean-Pascal Hohm, AfD-Chef in Cottbus und inzwischen auch Landtagsabgeordneter in Brandenburg: "Das Deutsche Volk als ethnische und kulturelle Gemeinschat ist nicht verhandelbar. Punkt."
Ein Beispiel aus Sachsen: Roland Ulbrich
Das BfV schreibt auch daran anschließend: "Eine kritische inhaltliche Auseinandersetzung mit den gerichtlich bestätigten Anhaltspunkten für extremistische Bestrebungen findet innerhalb der AfD nicht statt."
Ihre "Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität" entlaste die AfD nicht. Sie sei zweideutig und es gebe Anhaltspunkte, dass sie taktisch motiviert sei, heißt es in dem Gutachten. Als ein Beispiel auch dafür könnte der im BfV-Gutachten unter "Verharmlosung des Nationalsozialismus" aufgeführte Fall des Leipziger Rechtsanwalts Roland Ulbrich herhalten. Anfang 2024 war Ulbrich damit nicht zum ersten Mal in die Schlagzeilen geraten.

Als Mitglied des AfD-Bundesschiedsgerichts hatte er bei der intern offenbar relevanten Frage, ob sich ein Mitglied aus Polen öffentlich als "arisch" bezeichnen dürfe, im Beschluss dazu unter anderem das durchweg rassistische Reichsbürgergesetz der Nazis von 1935 zitiert, um diese Frage zu bejahen – anscheinend auch ganz im Ernst und in Ermangelung einschlägiger heute gültiger Rechtsquellen.
Gerichtsfest nachlesbar ist das auch in der Bestätigung des sächsischen OVG zur Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" vom Januar 2025 – ab Seite 21.
Von der AfD in Sachsen wurde die Sache bis heute, trotz der damaligen Ankündigung eines Parteiausschlussverfahrens, anscheinend nicht weiter bearbeitet. Nach seinem Abgang aus der Fraktion durfte Ulbrich 2024 erneut für den Landtag antreten, als Direktkandidat in Nordsachsen, wo er unterlag. Auch ist der Anwalt für Strafrecht aus Düsseldorf, seit 1994 mit Kanzlei in Leipzig, hier auch weiter Stadtrat und ganz offensichtlich noch AfD-Mitglied. Auf seiner Webseite hieß es zuletzt: "Der Kampf geht weiter."
Eine Anfrage von MDR AKTUELL zu dem vor mehr als einem Jahr angekündigten Parteiausschlussverfahren gegen Ulbrich ließ Sachsens AfD-Generalsekretär Jan Zwerg bislang unbeantwortet.
Chrupalla als gemäßigt eingeschätzt
Eher als seine Kollegin Alice Weidel gilt laut dem Gutachten übrigens Ko-Parteichef Tino Chrupalla als gemäßigt. Er wird einer "sozialpatriotischen" Strömung zugerechnet, die aber längst nicht so erfolgreich mobilisiere wie etwa Thüringens AfD-Chef Höcke und andere mit radikaleren Positionen. Auch darum werde Chrupalla in der Partei als "rhetorisch schwach" kritisiert.
Obwohl er dem angeblich aufgelösten "Flügel" um Höcke nicht angehöre, habe er dessen Rückhalt, heißt es weiter, insbesondere in Ostdeutschland. Einige Chrupalla-Reden von der angeblich geplanten "Großen Transformation" des deutschen Volkes, die auf seine grundlegende Änderung abziele, fallen für den Verfassungsschutz aber anscheinend nicht so ins Gewicht wie andere.
Überkommener Volksbegriff weit verbreitet
Fremdheitsgefühle gegenüber anders wirkenden Menschen und neueren Entwicklungen im eigenen Land haben viele Menschen. Sie lassen sich nicht verbieten, aber politisch benutzen. Gleiches gilt für völkisch-nationalistische Vorstellungen, nicht nur unter AfD-Wählern oder Mitgliedern, auch im Kern rassistische, wonach "Völker" oder "Volksgruppen" als geschlossene ethnisch-biologische und/oder ethnisch-kulturelle Einheiten gesehen werden.
Der völkische Nationalismus trennt klar in autochthone und migrierte Bevölkerungsteile, was einer nicht aufhebbaren Unterscheidung von Eigen- und Fremdgruppen entspricht.

Als private Meinungen sind auch solche Ansichten sogar weitgehend vom Grundgesetz geschützt, wohl nicht aber eine Politik, die auf Herstellung vollständiger oder weitgehender Homogenität des Volks abzielt. Die aber verfolgt laut Bundesverfassungsschutz die AfD.
Diesen Verdacht konnte die Partei vor dem Oberverwaltungsgericht Münster im Mai 2024 "nicht vollständig ausräumen", weshalb das OVG die Einstufung der AfD als "Verdachtsfall" durch das BfV damals auch bestätigte.
Auch nach der Ansicht des OVG in Münster wäre die "Verknüpfung eines ethnisch-kulturellen Volksbegriffs mit einer politischen Zielsetzung, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage gestellt wird" durchaus "verfassungswidrig und mit der Menschenwürde unvereinbar".
Allerdings fand das OVG im Programm der Partei, in anderen Publikationen oder Äußerungen von Mitgliedern keine eindeutigen Forderungen nach einer rechtlichen Diskriminierung deutscher Bürger mit Migrationshintergrund.
Das oben erwähnte Programm der AfD zur Landtagswahl am 1. September 2024 in Sachsen mit seinen Forderungen zum "Baby-Begrüßungsgeld" und zum Landerserziehungsgeld war noch nicht Gegenstand der Prüfung.
Trotzdem blieb das OVG misstrauisch, weil immer wieder führende AfD-Mitglieder einen Verlust ethnischer Homogenität beklagten, die Deutschen als ausschließliche "Abstammungsgemeinschaft" definierten und Bürger mit Migrationshintergrund "diffamierend als 'Passdeutsche' bezeichnen", wovon sich die Partei bis dato eben auch nicht ausreichend distanziert habe.
Dabei, kommentierte das Anwaltsblatt, liegen verfassungsrechtlich zulässige Forderungen und verbotswürdige Ziele nah beieinander. So sei es laut OVG etwa zulässig, eine restriktive Migrations- und Einwanderungspolitik zu fordern und das auch mit der Sorge um kulturelle Identität des deutschen Volkes zu begründen. In Begriffen wie "Umvolkung" oder "Volkstod" habe aber auch das OVG ein Indiz gesehen, dass diskriminierende Maßnahmen gegen eingebürgerte Deutsche insgeheim doch geplant sein könnten.
MDR AKTUELL
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