Emmanuel Macron genoss sichtlich die Bühne, die ihm geboten wurde. In Singapur wurde ihm eine ungewöhnliche Ehre zuteil: Als erster europäischer Staatschef hielt er die Grundsatzrede beim Shangri-La-Dialog, Asiens bedeutendstem sicherheitspolitischen Forum. Dort rief er zu einer neuen Partnerschaft zwischen Europa und Asien auf – als eine Allianz unabhängiger Staaten, die sich nicht zwischen den geopolitischen Blöcken USA und China entscheiden wollen.

„Wir wollen kooperieren, aber von niemandem abhängig sein“, sagte Macron. Sein Aufruf: eine „Koalition der Unabhängigen“ – Länder, die sich weder vereinnahmen noch einschüchtern lassen wollen, die strategische Autonomie suchen und gemeinsam an einem regelbasierten Multilateralismus arbeiten. Diese solle so überzeugend sein, das sich langfristig auch China und die USA anschließen. Im hochrangigen Publikum der vom International Institute for Strategic Studies (IISS) organisierten Konferenz im Shangri-La-Hotel saß unter anderem US-Verteidigungsminister Pete Hegseth.

Singapur ist die letzte Station von Macrons Asienreise, zuvor war er in Vietnam und Indonesien. Dabei ging es um die diplomatische, wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit mit einer Region, in der Frankreich bis 1954 als Kolonialmacht präsent war, von Vietnam über Laos bis Kambodscha.

Macron betonte bei seiner Rede, er sehe Europa und Asien vor denselben Herausforderungen, von territorialen Aggressionen in der Ukraine und Taiwan über atomare Aufrüstung bis zu hybrider Kriegsführung, Desinformation, globalem Wettbewerbsdruck und dem Verlust verlässlicher Handelsregeln.

Sowohl die Asean-Staaten als auch die EU seien betroffen von einer „Erosion der Allianzen“ und dem Ende eines berechenbaren Ordnungsrahmens. Die Lösung, so Macron, könne nur in verstärkter Zusammenarbeit liegen – bei Verteidigung, Technologie, nachhaltigem Handel und Sicherheit.

„Europa und Asien sind enger miteinander verflochten, als wir dachten“, sagte Macron. Beide Regionen müssten in einer Welt zunehmender Machtkonkurrenz ihre Souveränität verteidigen. „Wir müssen gemeinsam den Anspruch erheben, nicht zu bloßen Kollateralschäden geopolitischer Entscheidungen zu werden, sondern unser eigenes Modell zu verteidigen – durch gemeinsame Standards, offene Märkte und nachhaltige Kooperation.“

Besonderes Augenmerk legte Macron auf die Vermeidung von Doppelstandards: Wer Russlands Angriffskrieg in Europa dulde, dürfe sich nicht wundern, wenn China sich ähnliches in Taiwan oder im Südchinesischen Meer herausnehme. Gleichzeitig forderte er, auch in Gaza das Völkerrecht ernst zu nehmen und humanitäre Standards zu verteidigen. Nur wer konsistent sei, könne weltweit für eine regelbasierte Ordnung eintreten.

Zuvor standen hochrangige Gespräche und symbolische Gesten auf dem Programm: Treffen mit Singapurs Präsident Tharman Shanmugaratnam, ein Staatsbankett, die Unterzeichnung mehrerer Kooperationsabkommen zu Verteidigung, Künstlicher Intelligenz, Recht und Transport. Mit Premierminister Lawrence Wong einigte sich Macron auf eine „umfassende strategische Partnerschaft“ – Frankreich ist nun der einzige EU-Staat mit einem solchen Status in Singapur.

Hochrangige Wirtschaftsdelegation

Macron wird von einer Wirtschaftsdelegation begleitet, darunter Topmanager von Dassault Aviation, Naval Group, Airbus und CMA CGM, einer der weltweit größten Reedereien und Logistikunternehmen aus Marseille. In Vietnam hatte er Werbung für den französischen Schnellzug TGV gemacht. Auch Gespräche über Atomkraft wurden hinter den Kulissen geführt: Hanoi will sein ziviles Atomprogramm wiederbeleben, derzeit ist Russland Hauptpartner.

Frankreich bleibt aber vor allem ein sicherheitspolitischer Akteur in der Region. Sieben seiner 13 Überseegebiete liegen dort, mit 8000 stationierten Soldaten, fünf Militärbasen und regelmäßigen gemeinsamen Übungen. Die singapurische Luftwaffe betreibt als einziges Nicht-Nato-Land ein Jet-Trainingszentrum in Frankreich.

In Indonesien unterzeichnete Macron Waffenverträge im Wert von 17 Milliarden Euro, darunter Rafale-Kampfflugzeuge, Scorpène-U-Boote und Thales-Radare. Auch Indien gehört zu den wichtigsten Abnehmern französischer Rüstung – zuletzt bestellte die Marine 26 neue Rafale-Jets.

Deutschland hingegen tut sich schwer: Verträge werden verzögert, U-Boot-Lieferungen stocken, etwa an Singapur oder im langjährigen Ringen mit Indien. Während Frankreich in Asien Präsenz zeigt, debattiert Berlin weiter über seine Rolle in der Region.

Macron hingegen verbindet ökonomisches, diplomatisches und militärisches Engagement mit einer übergeordneten Vision: eine offene, regelbasierte Ordnung neu zu denken – mit neuen Handelsverträgen zwischen der EU und transpazifischen Partnern, mit Investitionen in Digitalisierung, Energiewende, Verteidigungsindustrie und Bildung.

Europa solle unabhängiger von US-Rüstungsimporten werden, Asien weniger abhängig von chinesischen Lieferketten, forderte er in seiner Rede im Shangri-La. Die Welt brauche mehr Kooperation unter Gleichrangigen und weniger geopolitische Bevormundung.

Mit diesem Appell positionierte sich Frankreich als Brückenbauer – und Macron als Architekt einer multipolaren Welt, in der Europa und Asien gemeinsam agieren, statt zwischen den Supermächten zerrieben zu werden.

Doch eine „dritte Option“ neben den USA und China sei Frankreich noch lange nicht, entgegnet Sicherheitsexperte Evan Laksmana vom IISS im Gespräch mit WELT in Singapur: „Wenn es überhaupt eine dritte Alternative gibt, dann liegen Japan und Australien in der Wahrnehmung der Region klar vor Frankreich.“ Frankreichs strategisches Kapital in Asien sei begrenzt.

„Die Lieferung von Rafales und Scorpène-U-Booten ist ein Anfang, aber Frankreich ist noch kein sicherheitspolitischer Gamechanger“, so Laksama. Gerade im Kontext des Taiwan-Konflikts oder der Spannungen im Südchinesischen Meers werde Frankreich nicht als Akteur wahrgenommen, der die strategische Lage grundlegend verändern kann.

Christina zur Nedden ist China- und Asienkorrespondentin. Seit 2020 berichtet sie im Auftrag von WELT aus Ost- und Südostasien.

Martina Meister berichtet im Auftrag von WELT seit 2015 als freie Korrespondentin in Paris über die französische Politik.

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