Wie Deutschland es verschläft, Chinas Würgegriff zu entkommen
Von außen sieht man dem Bau nicht an, welcher Schatz sich in ihm befindet. Grau, unscheinbar, groß wie eine Turnhalle steht er da, irgendwo in einem Gewerbegebiet am Rand von Bitterfeld, einer Kleinstadt im Süden Sachsen-Anhalts. Nur der Stacheldrahtzaun könnte darauf hindeuten, dass er etwas Wertvolles birgt. Er ist gefüllt mit Regalen bis unter die Decke, in denen sich Hunderte Fässer aus Stahl aneinanderreihen. Fässer, in denen alte Magnete lagern, entnommen ausrangierten Windrädern und Festplatten, MRT-Geräten und Motoren.
Drei Jahre lang hat David Bender sie hier angehäuft. Er war dafür auf Schrottplätzen in ganz Europa unterwegs, hat Firmen nach Fehlproduktionen abgeklappert. 350 Tonnen hat er insgesamt eingesammelt, hier in Bitterfeld liegt nur ein Teil davon. An einem regnerischen Tag Ende Oktober sagt Bender: „Eigentlich müssten wir gerade einen großen Ansturm erleben.“ Denn in ihm stecken eine große Menge an Seltenen Erden. Stoffe, die angesichts der geopolitischen Kämpfe, die um sie geführt werden, begehrter denn je sind.
Seltene Erden sind eine Gruppe von 17 Metallen, ohne die die Energiewende, die Medizin, die Automobilbranche kaum denkbar wären. Ohne Neodym und Dysprosium keine kompakten, leistungsstarken Magneten für Elektromotoren, Windräder und Festplatten. Ohne Terbium kaum ein Bildschirm oder LED-Licht, ohne Praesodym keine Flugzeugturbine. Hinzu kommt: Seltene Erden stecken in Kampfflugzeugen, Drohnen, Raketen und Radarsystemen. Ohne sie also auch keine geopolitische Sicherheit. Und dennoch passiert mit Benders Fässern bisher vor allem eines: nichts.
David Bender ist Co-Leiter von Heraeus Remloy, einem Unternehmen, das Seltene Erden zurückgewinnt, auf der größten Anlage Europas. Im Mai vergangenen Jahres ging sie an den Start. Die Teile werden sortiert, eingeschmolzen und zu feinem Pulver verarbeitet. Am Ende entstehen Materialien, aus denen sich neue Magnete formen lassen. Materialien, die besonders viel Neodym und Praseodym enthalten, zwei der wichtigsten Seltenen Erden, unerlässlich für die Elektro- und Automobilbranche.
Sie sind genauso gut wie die aus frischen Rohstoffen aus der Mine und noch dazu viel schneller zur Stelle. 600 Tonnen Magnete ließen sich allein hier im Jahr daraus formen, fast zwei Prozent von dem, was die EU jährlich benötigt. Doch Bender sagt: „Wir haben sehr viele Anfragen.“ Mit beinahe jedem Autohersteller stehen sie im Kontakt. Die würden allerdings noch abwarten, bis auch die letzten Reserven aufgebraucht seien. Und so steht Benders Anlage viele Stunden am Tag still.
Dabei hat sich die Lage für die ohnehin begehrten Rohstoffe seit einigen Monaten noch einmal zugespitzt: Im Handelsstreit mit den USA hatte China den Export vieler Seltener Erden stark eingeschränkt. Einige der Elemente lieferte es gar nicht mehr oder nur sehr wenig. Inzwischen hat sich der Streit zwar etwas beruhigt, die Volksrepublik setzte die Exportkontrollen für ein Jahr aus. Doch das sehen Experten nur als Verschnaufpause. Schon bald könnte die Welt wieder um ihre Lieferungen aus Asien bangen. Auch Deutschland.
Die Volksrepublik betreibt bis zu 70 Prozent der weltweiten Förderung, 90 Prozent der Fabriken zur Aufbereitung, und 90 Prozent der Magnetproduktion. Besonders groß ist die Dominanz bei den sogenannten schweren Seltenen Erden, die noch knapper und begehrter sind als die leichten. Nahezu alle Minen dafür liegen in China, Deutschland ist beinahe vollständig auf sie angewiesen. Bei den leichten Seltenen Erden sind es bis zu 70 Prozent.
Als in den vergangenen Wochen kaum noch etwas von den Rohstoffen aus dem Land herauskam, schlugen die deutschen Automobilhersteller und zahlreiche Zulieferer Alarm wegen drohender Engpässe. Die Preise für die Elemente schnellten in die Höhe. Um fast ein Drittel gegenüber dem Vorquartal stiegen sie allein beim Neodym. Die Abhängigkeit vom chinesischen Nachschub ist so groß, wie sie es beim russischen Gas nie war.
Dabei warnen Experten seit Jahren, es überhaupt so weit kommen zu lassen. Jens Gutzmer, Direktor des Helmholtz-Instituts für Ressourcentechnologie in Freiberg, machte kürzlich in einer Art Brandbrief klar: Das Land und die EU haben viel versäumt. Trotz der Erfahrungen aus vergangenen Engpässen bei den Elementen, trotz eigentlich guter Voraussetzungen – es gibt erste Recyclingfirmen, selbst eigene Vorkommen gäbe es genügend. „Doch dann“, so Gutzmer gegenüber WELT AM SONNTAG, „wurde nur diskutiert und gehadert.“
Eine Kette von Versäumnissen
Der Bitterfelder Betrieb ist nur ein Beispiel für das, was schiefläuft, wenn Deutschland bei den Seltenen Erden mehr auf eigenen Beinen stehen will. Spricht man mit Physikern, Geologen und Unternehmern wird deutlich: Es ist eine Aneinanderreihung von viel „eigentlich“. Eigentlich, so machen sie klar, wisse man sehr genau, was getan werden müsste.
So selten wie ihr Name vermuten lässt, sind die Stoffe nicht. Sie stecken sogar relativ häufig in der Erdkruste, rund um den Globus. Selten kommen sie jedoch in konzentrierter Form vor, ihre Gewinnung ist aufwendig und teuer. Besonders gilt das für die neun Elemente, die wegen ihrer Atommasse zu den schweren Seltenen Erden zählen und besonders begehrt sind, etwa Dysprosium, Terbium und Yttrium. Im Vergleich zu ihren leichten Verwandten liegen sie oft noch verstreuter im Gestein.
Selten werden die Stoffe vor allem durch das Quasi-Monopol, das sich China in den vergangenen Jahrzehnten gesichert hat. Das Land entdeckte die Elemente sehr früh als Nebenprodukt, als es sein Eisenerz abbaute. „Der Nahe Osten hat Öl, wir haben Seltene Erden“, soll der einstige Parteiführer Deng Xiaoping schon 1987 gesagt haben. Das Land richtete sich strategisch danach aus, entwickelte die Techniken, sicherte sich die Patente für Abbau und Weiterverarbeitung. Die bis heute geringen Sozial- und Umweltstandards halten die Kosten niedrig; viele hochgiftige Säuren versickern einfach im Boden, verseuchen Grundwasser und Flüsse. Die Gegend um die weltgrößte Mine an der Grenze zur Mongolei gehört zu den am stärksten verschmutzten Orten weltweit.
Hinzu kommt: China verhindert aktiv, dass sich andernorts Industrie rund um die Rohstoffe etablieren kann. Insider berichten gar von einer Art chinesischen Magnet-Mafia, die auf den Schrottplätzen Europas die Teile oft zu horrenden Preisen aufkaufe, um den Markt leerzufegen. Das Land, so sehen sie es, will nicht nur sein Monopol über die Rohstoffe selbst festigen. Sondern auch das über die fertigen Produkte, die Magnete, ausbauen.
Was denn Deutschland genau „versäumt“ habe? „Geschichte wiederholt sich“, antwortet Geologe Gutzmer. Nachdem 2010 China das erste Mal seine Exporte gestoppt hatte, boomten weltweit und in Europa die Explorationen, neue Lagerstätten leuchteten auf der Landkarte auf, die zuvor als unwichtig galten. Die Bundesrepublik gab sich eine „Nationale Rohstoffstrategie“ und gründete die Deutsche Rohstoffagentur, die die Märkte beobachtet. Doch dann passierte – was? „Nahezu nichts“, sagt Gutzmer.
Lieferketten wurden nicht vielfältiger, Rohstofflager nicht angelegt, in eine eigene Förderung und Verarbeitung kaum investiert. Bis heute gibt es keine einzige Versuchsanlage, die die Verarbeitung von Anfang bis Ende durchspielt. In China beschäftigen sich hingegen ganze Institute damit. 2012 sanken die Preise für die Elemente wieder – und mit ihnen die Bemühungen um mehr Freiheit bei der Versorgung.
Japan hingegen steckte in den vergangenen Jahren hohe Summen in Gruben in Australien, Indien und Kanada, brachte das Recycling voran und beschloss kürzlich eine strategische Zusammenarbeit mit den USA. Die wiederum verkündeten, ebenfalls in Australien Milliarden in Minen und die Verarbeitung der Rohstoffe zu investieren. Zudem beteiligte sich die Regierung selbst, ganz unamerikanisch, mit einer millionenschweren Investition an einem US-amerikanischen Minenunternehmen. Schon „kleine Alternativen“ könnten, so Gutzmer, ein Monopol aufbrechen, auch solche in Europa.
Wo die genau liegen, weiß Jochen Kolb, Professor für Geochemie und Lagerstättenkunde am Karlsruher Institut für Technologie. Kolb macht klar: So „klein“ sind diese „Alternativen“ für viele der Rohstoffe gar nicht: „Eigentlich haben wir genügend, um uns zu versorgen, wir müssen sie nur abbauen.“ Darunter in Kiruna, im Norden Schwedens. Auf mehr als zwei Millionen Tonnen Seltenerdoxiden schätzt das schwedisch-staatliche Bergbauunternehmen LKAB allein hier das Vorkommen, manche gehen gar von mehr als drei Millionen aus. Es ist eines der größten Lager in Europa und noch dazu bereits besonders gut erschlossen. Bis zu 18 Prozent des Jahresbedarfs der EU ließen sich allein damit decken. Hinzu kommen große Lagerstätten im Süden des Landes und in Norwegen.
Selbst in Deutschland gibt es Orte, an denen sich die Metalle in größeren Mengen sammeln. Nördlich von Leipzig hat man vor zwölf Jahren den „Schatz von Storkwitz“ wiederentdeckt, ein Vorkommen, das schon lange bekannt war, mit dem damaligen Explorationsboom aber neue Aufmerksamkeit bekam. Von mindestens 20.000 Tonnen an Seltenerd-Verbindungen geht man aus. Doch ob Storkwitz oder Schweden – an keiner dieser Stellen werden die Stoffe bislang gewonnen.
Das Problem: Die Stoffe sind zwar begehrt, aber billig. Zu billig. Noch dazu schwanken die Preise extrem stark, teils um bis zu tausend Prozent. China kann sie durch staatliche Subventionen drücken, je nach Marktlage manipulieren. „Das kann hier keine private Firma abpuffern“, erklärt Kolb. In Kiruna will LKAB dennoch im kommenden Jahr eine Anlage in Betrieb nehmen, die das Verfahren zur Förderung zunächst testet, mit dem Abbau selbst wird der Konzern nach eigenen Angaben erst in frühestens acht Jahren beginnen. Es braucht Genehmigungen, ein Bergwerk, Anlagen zur Aufbereitung. Die Unsicherheiten abfangen will das Unternehmen durch die Eisenerze, die es in der Grube seit Jahrzehnten abbaut und ihnen auch künftig den Großteil der Gewinne einfahren wird. Die Seltenen Erden, sie sind mehr ein nettes Nebenprodukt.
Schlummernde Vorkommen, fehlende Forschung, ungenutztes Recycling – Gutzmer sieht dafür besonders den Staat in der Pflicht: „Bei einem dysfunktionalen Markt kann der nicht einfach zusehen.“ Stattdessen müsse der „direkt einsteigen“, ähnlich wie in Schweden, Japan, den USA. Mittelfristig könnten Rohstoffpartnerschaften mit Ländern wie Brasilien oder Kanada aushelfen. Anfang der Woche verkündete das Bundeswirtschaftsministerium, man werde sich an der Förderung Seltener Erden in Australien mit bis zu 100 Millionen Euro beteiligen.
Langfristig, so Gutzmer, müssten den Minen und Recyclern in Europa feste Zusagen gemacht werden, wie viel ihnen zu festen Preisen abgenommen wird, „auch wenn’s nicht immer wirtschaftlich ist“. Damit ließen sich auch strategische Reserven aufbauen, wie sie viele andere Nationen bereits haben. Beim Anschub helfen soll zudem der Rohstofffonds, den die Bundesregierung 2024 eingerichtet hatte. Mit insgesamt einer Milliarde Euro will sie damit Projekte finanzieren, die die Versorgung mit kritischen Rohstoffen fördern. „Kein einziger Euro“ sei davon jedoch bislang geflossen, so Gutzmer.
Auch wenn es irgendwann gelingen sollte, die Vorkommen in Europa anzuzapfen – die Erden bleiben knapp. Eines wird daher immer wichtiger: sie zurückzugewinnen. Und zwar im Land selbst. Denn zur bitteren Wahrheit für die Bitterfelder gehört auch: Die Erden werden bereits in großem Maßstab recycelt. Nur nicht hierzulande. Sondern erneut in Fernost. Vieles von dem hier eingekauften Material liefert China aufbereitet zurück nach Deutschland. Sogar der Critical Raw Act der EU, nach dem die Union bis 2030 25 Prozent ihrer kritischen Rohstoffe aus Recycling ziehen will, legt nicht fest, woher die wiedergewonnenen Stoffe stammen.
Unternehmer Bender fordert daher eine Quote. Hiesige Magnete müssten zu 25 Prozent aus EU-Material bestehen. Klar, sagt er, das Auto koste dann etwas mehr. „Kleinstbeträge“ seien das aber, genaue Zahlen will er nicht nennen. „Ansonsten stehen die Produktionsbänder hier bald still.“ Sein Betrieb selbst fokussiert sich auf die leichten Seltenen Erden, für die die chinesischen Beschränkungen bisher nicht galten. Für ihn sei das aber „nur eine Frage der Zeit“. Fast könnte man meinen, er hofft für sein Geschäft darauf. Verübeln könnte man es ihm nicht.
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