„Politik ist nichts anderes als Medizin im Großen“
Der 13. Oktober 2025 wird in die Geschichte eingehen – als ein Tag der Freude und der Hoffnung. Es gibt sehr gute Gründe zu feiern, und in diese Kategorie fällt auch die Meldung, dass die Bundesregierung den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria mit einer Summe in Höhe von einer Milliarde Euro unterstützen möchte.
Die Zusage für den Finanzierungszeitraum von 2026 bis 2028 wurde am Sonntagabend bekannt gegeben – im Rahmen des World Health Summit, der vom 12. bis 14. Oktober in Berlin stattfindet. Zwar sind es 300 Millionen Euro weniger, als erhofft, was 23 Prozent der vorangehenden Förderung entspricht. Aber die Kürzung fällt geringer aus, als nach den Haushaltsdebatten im Bundestag befürchtet worden war.
Jeder investierte Euro zahl sich aus
„Der Kampf gegen die großen Infektionskrankheiten ist nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, sondern ein Gebot der Vernunft: Krankheitserreger kennen keine Grenzen, sie breiten sich überall dort aus, wo man sie lässt – dort, wo es an Vorsorge, Medikamenten und medizinischer Versorgung fehlt und dann auch darüber hinaus“, erklärte Reem Alabali-Radovan, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Berlin.
Jeder in den Globalen Fonds investierte Euro zahle sich aus: „Er stärkt die Gesundheitssysteme unserer Partnerländer und macht die Welt widerstandsfähiger. Damit retten wir Millionen Leben. Deshalb müssen wir hier gemeinsam stark bleiben.“
Deutschlands Zusage sende ein starkes Signal globaler Solidarität – und lege eine wichtige Grundlage für die abschließenden Zusagen zur achten Wiederauffüllung, sagte wiederum Peter Sands, Exekutivdirektor des Globalen Fonds. Deutschland bekräftige seine Führungsrolle in der globalen Gesundheit sowie sein Engagement für Gerechtigkeit, Resilienz und Innovation.
Es sei eine einmalige Gelegenheit, die Ausbreitung von Infektionskrankheiten einzudämmen und die Gesundheits- und Gemeindesysteme in den besonders betroffenen Ländern weiter zu stärken. „Neue Innovationen wie Lenacapavir (prophylaktisches HIV-Medikament, Anm. d. Red.), KI-gestützte Tuberkulose-Diagnostik und intelligenten Moskitonetze zeigen: Die Werkzeuge sind vorhanden“, meinte Sands. „Jetzt brauchen wir den politischen Willen.“
„Medizin ist eine soziale Wissenschaft“
Als Vorbild dafür könnte Rudolf Virchow (13. Oktober 1821 – 5. September 1902) dienen, dessen Geburtstag ein weiterer Grund zum Feiern wäre. Der deutsche Arzt, Pathologe, Sozialhygieniker und Politiker wird mitunter als „Vater der Sozialmedizin“ bezeichnet. Und er setzte sich nicht nur dafür ein, dass Berlin eine ordentliche Kanalisation erhält, das berühmte Radialsystem, wodurch sich verheerende Cholera-Epidemien verhindern ließen. Sondern erkannte außerdem: „Medizin ist eine soziale Wissenschaft, und Politik ist nichts anderes als Medizin im Großen.“
Virchows Überzeugung, dass Gesundheit durch soziale, wirtschaftliche und politische Faktoren geprägt wird, habe bis heute große Bedeutung – insbesondere in einer Zeit, in der die globale Gesundheitslandschaft tief greifenden und beschleunigten Veränderungen ausgesetzt sei. Dies betonen Ole Petter Ottersen, Omnia El Omrani, Roland Göhde und Detlev Ganten in einem aktuellen Kommentar für das medizinische Fachblatt „The Lancet“.
Anlass des Kommentars ist der Virchow-Preis, der dieses Jahr zum dritten Mal vergeben wird: an Quarraisha Abdool Karim und Zulfiqar A. Bhutta, deren gemeinsame „Virchow Prize Lecture“, zum ersten Mal, ebenfalls in „The Lancet“ veröffentlicht wird. Der Titel lautet „Advancing Women, Maternal, Newborn and Child Health Equity“, denn beide verfolgen das Anliegen, die Chancengleichheit in der Gesundheit von Frauen, Müttern, Neugeborenen und Kindern zu fördern. Für ihre wissenschaftliche Arbeit und Engagement auf diesem Gebiet wurden die beiden Forscher am Samstagabend im Festaal des Roten Rathauses in Berlin ausgezeichnet.
Die klinische Epidemiologin Abdool Karim arbeitet an der Columbia University in den USA und ist international für ihre führende Rolle in der HIV-Prävention von Mädchen und jungen Frauen bekannt. Am Centre for the Aids Programme of Research in Südafrika (CAPRISA) engagiert sie sich dafür seit Jahrzehnten – mit weitreichenden Auswirkungen auf die Gesundheit von Müttern und Jugendlichen.
Der Kinderarzt und Public-Health-Wissenschaftler Bhutta ist an der Aga Khan University in Pakistan sowie am Hospital for Sick Children (SickKids) in Toronto, Kanada, tätig. Er leitete bedeutende Studien zu Mütter-, Neugeborenen- und Kindergesundheit, Ernährung und primärer Gesundheitsversorgung. Seine Forschung hat Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie nationale Gesundheitspolitiken in Südasien, Subsahara-Afrika und humanitären Krisengebieten maßgeblich beeinflusst.
Der Virchow-Preis sei mehr als eine Auszeichnung, betonen Ganten und seine Mit-Kommentatoren in „The Lancet“, er sei ein Bekenntnis zu Werten in einer Zeit, in der die globale Gesundheitssteuerung unter Druck steht. Der Rückzug vom Multilateralismus, zunehmender Nationalismus und ideologische Polarisierung würden die kollektive Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Pandemien, dem Klimawandel und der gesundheitlichen Ungleichheit gefährden. „Indem der Preis jene ehrt, die Wissenschaft und soziale Gerechtigkeit verbinden, betont er, dass Gesundheit – sowohl Ausgangspunkt als auch Kompass für nachhaltige Entwicklung ist.“
Der Preis wurde 2022 von der gemeinnützigen Virchow-Stiftung, zu deren fünf Gründungsmitgliedern neben Ganten auch die Berliner Verlegerin Friede Springer zählt, ins Leben gerufen und soll andere wissenschaftliche Auszeichnungen wie etwa die Nobelpreise ergänzen. Denn es werden Leistungen gewürdigt, die wissenschaftliche Genauigkeit mit sozialer Verantwortung verbinden – und Gesundheit als globales öffentliches Gut fördern.
Gesundheit werde von den 17 Zielen der Agenda für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen beeinflusst, sagte Ganten, der auch als Gründungspräsident des „World Health Summit“ 2009 wirkte, vor Einführung der beiden Preisträger, aber noch wichtiger sei: Gesundheit (das erklärte 3. Ziel) beeinflusse jedes dieser 17 Ziele, diene als Einstiegspunkt, Kompass und Maßstab dafür, ob wir sie erreichen – für eine gesunde Natur, ein gesundes Leben und einen gesunden Planeten.
Der Preis und Virchow selbst würden für die Idee stehen, dass Wissenschaft eine soziale Verantwortung trägt – und zugleich Verantwortung für die gesellschaftliche Entwicklung übernehmen muss. „Die Virchow-Preisträgerinnen und -Preisträger gelten als Botschafterinnen und Botschafter dieses wichtigen Ziels und dieser großen Herausforderung“, so Ganten.
Als Teil des Virchow’schen Geistes
„Wir sollten uns der Bedeutung solcher Preise sehr bewusst sein, denn sie senden ein wichtiges Signal an die Gesellschaft“, erklärte der norwegische Mediziner Ole Petter Ottersen, bis 2023 Rektor des Karolinska Institutet in Stockholm, und ging so auf die Verkündung des diesjährigen Friedensnobelpreises am Freitag ein bevor er den Laureaten das Wort erteilte. Im Kern ehre dieser dieselben Werte wie der Virchow-Preis: Gerechtigkeit, Demokratie und Solidarität. Wichtig sei: „Dass wir Hüterinnen und Hüter dieser Werte bleiben müssen – gerade in Zeiten, die herausfordernd, turbulent und oft widerständig erscheinen.“
Als Arzt sei er persönlich sehr betroffen davon, dass es weltweit immer noch unterversorgte, benachteiligte und entrechtete Bevölkerungsgruppen gebe. „Ich sehe es als Teil des Virchow’schen Geistes, dass wir uns ihren Bedürfnissen widmen“ – so, wie es Abdool Karim und Bhutta in ihrer gesamten Laufbahn getan hätten.
Welches enorme Durchhaltevermögen dafür nötig ist, lässt sich nur schwer vorstellen, aber zumindest erahnen, als Abdool Karim etwa von ihrer mühevollen „Reise der HIV-Prävention für Frauen“ erzählt. Mit ihrem Mann Salim Abdool Karim stets an ihrer Seite, sie würden den Weg in der HIV- und Aids-Forschung seit 37 Jahren gemeinsam gehen. Ihre Berufswahl sei kein Zufall gewesen: Aufgewachsen im Apartheid-Südafrika, erklärt Abdool Karim die Entscheidung für die Infektions-Epidemiologie als eine Wahl für strenge, robuste Wissenschaft mit sozialer Gerechtigkeit als Komponente.
Nachhaltige Zukunft für kommende Generationen
„Wir sind eine Welt, ein Volk, und wir müssen dafür sorgen, dass diese Welt auch für kommende Generationen nachhaltig bleibt“, sagt sie. Es gebe weder einfache noch schnelle Lösungen für die aktuellen Probleme und komplexen Herausforderungen, aber Wissenschaft sei nach vorn gerichtet und bringe Hoffnung.
„Und gerade in diesen Zeiten müssen wir – als privilegierte Mitglieder der Gesellschaft – diese Hoffnung hochhalten“, meint die Epidemiologin. „Hoffnung, die wir durch Wissenschaft vermitteln: Wissenschaft, die vereint, nicht spaltet; Wissenschaft, die Frieden fördert, nicht Krieg und Konflikte; Wissenschaft, die eine nachhaltige Zukunft für kommende Generationen sichert.“
Was in den vergangenen drei Jahrzehnten durch „Wissenschaft, Aktivismus und globale Solidarität“ in der weltweiten HIV-Bekämpfung erzielt wurde, bezeichnet Abdool Karim als „beispiellos“ und enormen Fortschritt. Ihr Vortrag, der im „Lancet“ nachzulesen und auf YouTube anzuschauen ist, beschreibt, wie Aids durch die Behandlung beherrschbar wurde. Und dass Wirkstoffe nun auch die Übertragung verhindern können.
In den 1990er-Jahren hatten sozial-epidemiologische Studien in städtischen, ländlichen und peri-urbanen Settings gezeigt: Frauen kannten das Risiko – hatten aber kaum Handlungsmacht, die oft sieben bis acht Jahre älteren Partner zu sichererem Sex zu bewegen. Viele waren monogam; das Risiko ging vom Partner aus, erschwert durch Arbeitsmigration und lange Trennungsphasen.
Damals begann die Suche nach Produkten und Technologien zur Aids-Prävention, um ein tief soziales Problem – ungleiche Geschlechter-Machtverhältnisse – anzugehen. Heute gibt es prophylaktisch wirksame Pillen und den Wirkstoff Lenacapavir, der als halbjährliche Spitze erfreulich hohen Schutz bietet. Perspektivisch sei sogar eine jährliche Injektion denkbar, sagt Abdool Karim. „Die Frage ist: Wird das der ‚Gamechanger‘ für junge Frauen – oder nur eine weitere Option im klinischen Portfolio?“
Über all die Jahre war die Förderung junger Wissenschaftler für die Epidemiologin und ihr Team zentral – „sie sind unser Schatz“. Aber damit ist es noch lange nicht getan: „Wir haben die Wissenschaft, wir haben die politischen Grundlagen“, betont Abdool Karim. „Aber können wir uns so mobilisieren, dass es jungen Frauen tatsächlich besser geht?“ Und was kann jeder von uns dazu beitragen?
Die Virchow Foundation wurde im Oktober 2021 ins Leben gerufen, um sich dafür einzusetzen, globale Gesundheitsfragen in der Öffentlichkeit, sowohl national als auch international, bekannt zu machen – und so zur Verbesserung der globalen Gesundheit beizutragen. Zu den Gründern zählt Dr. h.c. Friede Springer; sie ist seit 1985 Mitglied des Aufsichtsrats der Axel Springer SE und seit 1999 dessen stellvertretende Vorsitzende.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke