„Sie propagieren frauenfeindliche Narrative und zementieren starre Rollenbilder“
Welche Rolle spielen soziale Medien im Leben von Mädchen: Sind sie eher belastender Käfig oder stützendes Sprachrohr? Instagram-Filter, TikTok-Trends und Influencerinnen erzeugen enormen Druck, schön, schlank, perfekt zu wirken. Zugleich entstehen bei den Plattformen Räume, in denen Mädchen ihre Stimme erheben, Gleichgesinnte finden und Missstände sichtbar machen.
Die Kinderrechtsorganisation Plan International hat 26.000 Mädchen und junge Frauen in 26 Ländern der Welt unter anderem zu ihren Erfahrungen mit Falschnachrichten im Internet befragt. Das Ergebnis: Fake News – Falschnachrichten, die vornehmlich in sozialen Netzwerken verbreitet – hindern Mädchen daran, sich politisch und gesellschaftlich zu engagieren.
„Sie sind ein maßgeblicher Grund dafür, dass sie ihre Meinungen nicht mehr in Social Media teilen wollen. Wenn Mädchen sich aus Angst vor Falschinformationen, Hass oder Anfeindungen aus dem digitalen Raum zurückziehen, hat dies direkte Auswirkungen auf die Gleichberechtigung“, erklärt Pia Arndt von Plan International Deutschland.
Es gebe keine Gleichberechtigung im Netz, sagt Rüdiger Maas, Psychologe, Generationenforscher und Leiter des Instituts für Generationenforschung. „Das Netz potenziert nur alles, was wir in der analogen Welt haben.“ So verbreiteten sich Hassnachrichten im Netz schneller als in der realen Welt. Etwa 70 Prozent der Mädchen und Frauen im Netz hätten dort Gewalt erfahren, im weitesten Sinne auch durch sogenanntes Bodyshaming.
Wer sich nicht traue, seine Meinung zu äußern oder sich politisch zu engagieren, werde aus wichtigen gesellschaftlichen Diskursen ausgeschlossen, gibt Arndt zu bedenken. „Mädchen und junge Frauen verlieren dadurch nicht nur Sichtbarkeit, sondern auch Einfluss – etwa bei Themen, die sie unmittelbar betreffen: Bildung, Gleichstellung, reproduktive Rechte, Klimaschutz oder digitale Gewalt.“
Das digitale Schweigen resultiere in Ungleichgewicht: Während sich viele Jungen und Männer lautstark äußerten – und dafür oft weniger sanktioniert würden –, fehlten weibliche Perspektiven. „Wenn Mädchen verstummen, leidet die Demokratie. Und Gleichberechtigung rückt in noch weitere Ferne“, erklärt Arndt.
Unrealistische Ideale auf Instagram und TikTok
Plan International zufolge sind sozialen Medien Spiegel und Vergleichsplattform, junge Mädchen messen sich dort oft an unrealistischen Idealen. „Das kann zu Unsicherheiten, geringem Selbstwertgefühl und dem Druck führen, sich anzupassen oder perfekt zu erscheinen“, sagt Arndt. Neueste Umfragen zeigten, dass die intensive Nutzung sozialer Medien mit einem Anstieg von Essstörungen in Verbindung stehe und unterschiedliche Auswirkungen auf die Psyche haben könne.
Aus Sicht von Maas neigen Mädchen eher dazu, sich Schönheitsideale im Netz zu suchen. Und bekommen vielfach Menschen zu sehen, die weitaus schöner zu sein scheinen als man selbst. Zentral für den Umgang damit sei die Persönlichkeit. „Wir wissen nicht, mit welchem Selbstwertgefühl jemand ins Netz geht“, sagt Maas.
Doch die Communitys können auch das Selbstbewusstsein von Mädchen stärken und Social Media als ein Werkzeug dienen, um sich zu vernetzen und einzubringen. „Wichtig ist dabei ein gesunder, reflektierter Umgang mit den sozialen Medien und die bewusste Entscheidung, wem man folgt und was man konsumiert“, sagt Arndt.
In sozialen Medien werden laut Arndt häufig stereotype Frauenbilder vermittelt – orientiert an traditionellen Rollen, Schönheitsidealen und gesellschaftlichen Erwartungen. Trends wie #TradWives oder #stayathomegirlfriends zeigten, wie stark traditionelle Vorstellungen von Weiblichkeit wieder ins Zentrum rücken. Frauen inszenieren sich dabei als Hausfrauen, Mütter und Fürsorgerinnen, häufig idealisiert. Plattformen verstärkten diese Bilder, indem sie bestimmte äußerliche Merkmale, Statussymbole und inszenierte Lebensstile besonders sichtbar machen.
Besonders problematisch sind antifeministische Bewegungen und toxische Männlichkeitsideale, die sich in Online-Communitys wie den „Incels“ verbreiten. „Incel“ ist ein Kofferwort aus involuntary und celibate (unfreiwillig sexuell enthaltsam/zölibatär). „Sie propagieren frauenfeindliche Narrative, lehnen Gleichberechtigung ab und zementieren starre Rollenbilder. Diese Ideologien fördern ein verzerrtes Männerbild und gefährden letztlich nicht nur Frauen, sondern auch Jungen und Männer, die unter diesem Druck leiden“, sagt Arndt.
Auch Jungs leiden unter dem Druck im Netz
Soziale Medien beeinflussten alle Geschlechter. Der Leistungs- und Optimierungsdruck sei laut Plan International real. Dies geschehe vor allem durch die ständige Wiederholung und Sichtbarkeit bestimmter Bilder und Normen. Junge Nutzer vergleichen sich mit Influencern, Freunden und den in sozialen Medien inszenierten Idealen.
„Gerade im Jugendalter, in dem viele auf der Suche nach Vorbildern, Orientierung und einem Gefühl für die eigene Identität sind, können solche Inhalte besonders wirkungsvoll und leider auch problematisch sein“, sagt Arndt. Männer vergleichen sind laut Maas jedoch nicht mit Models in der Art, wie dies bei Frauen der Fall sei. Sie seien zudem oft weniger verletzlich.
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