Kurz bevor Blätter eines Baumes sterben, pulsiert in ihnen das Leben. Im Herbst leuchtet das Laub gelb und rot in der Sonne. Es gibt kaum einen Zeitpunkt, an dem der Stoffwechsel in den Blättern so aktiv ist wie jetzt, kurz bevor sie vom Baum fallen und vertrocknen. Sogar zuvor gar nicht synthetisierte Stoffe bildet das Blatt nun neu. 

„Die Verfärbung der Blätter im Herbst ist lebensnotwendig für die Laubbäume in den nördlichen Breiten“, sagt Karin Krupinska, Professorin für Botanik an der Universität Kiel. „Sie ist das äußere Zeichen für einen großen Recycling-Prozess.“ Doch der läuft anders ab, als Biologen lange dachten.

Der Grund für den Blattabwurf sind die unwirtlichen Witterungsbedingungen im Winter. „Aus einem gefrorenen Boden kann ein Baum kein Wasser ziehen“, sagt Krupinska. Dasselbe Problem tritt bei Trockenheit auf. In beiden Fällen kann es zu Embolien in den Gefäßen kommen. Ein Laubblatt gibt durch die Spaltöffnungen Wasser ab. Dadurch entsteht ein Sog, der das Wasser durch die Pflanze transportiert.

„Ein Wasserstrang führt also von der Wurzel bis zum Blatt“, erklärt Constantin Zohner, Professor für Globale Systemökologie an der Schweizer ETH Zürich. „Kommt von unten kein Wasser nach, kann der Wasserstrang reißen. Dann vertrocknen die Bereiche des Baumes, die von diesem Gefäß versorgt werden.“

Außerdem sind die Laubblätter vieler Arten zart. „Die meisten sind so empfindlich, dass sie durch Frost zerstört würden“, sagt Krupinska. Dagegen hat das Gros der Nadelbäume oder auch immergrüne Laubpflanzen wie Efeu eine dicke Schutzschicht auf der Außenseite, die vor übergroßer Verdunstung und Frost schützt. Die einzige heimische Art, die ihre Nadeln im Herbst abwirft, ist die Lärche.

„Sie kommt ja aus dem Hochgebirge, wo die Bedingungen im Winter besonders hart sind“, sagt Krupinska. „Da kann es energetisch günstiger sein, die Nadeln abzuwerfen, weil es zu viel Aufwand bedeuten würde, diese winterfest zu machen.“ Bäume haben also unterschiedliche Strategien entwickelt, wie sie mit dem Winter umgehen. Dort, wo die Temperaturen dagegen das ganze Jahr über warm bleiben, gibt es den herbstlichen Blattabwurf von Bäumen nicht.

In kälteren Regionen gilt es für die Laubbäume dagegen vor dem Winter möglichst viele wertvolle Substanzen aus den Blättern zu retten, bevor diese auf die Erde fallen – Phosphor, Stickstoff, Schwefel, Spurenelemente. Zuerst wird das Chlorophyll abgebaut. Während der Vegetationsperiode sind die Laubblätter grün, weil sie große Mengen ebendieses Farbstoffs enthalten. Chlorophyll wandelt Lichtenergie bei der Fotosynthese in chemische Energie um. Aus Wasser und Kohlendioxid wird Glucose hergestellt, als Nebenprodukt entsteht Sauerstoff.

Chlorophyll ist für die Pflanze auch sehr gefährlich

Dieser Prozess ist die Nahrungsquelle aller Pflanzen und damit auch aller Tiere  – und ohne den freigesetzten Sauerstoff könnte kein Lebewesen atmen. „Für die Pflanze ist Chlorophyll aber gleichzeitig sehr gefährlich, denn es kann Lichtenergie auch auf Sauerstoff übertragen“, sagt Bernhard Kräutler, emeritierter Professor für Organische Chemie an der Universität Innsbruck.

So entstehen reaktive Sauerstoffspezies. „Ein sehr aggressives Zellgift“, sagt Kräutler. Wegen dieser gefährlichen Eigenschaft des Chlorophylls umhüllen es Pflanzen mit anderen Pigmenten, insbesondere Carotinoiden und binden es an Proteine. Im Herbst gilt es nun, das gefährliche Molekül zu entschärfen.

„Viele Jahre lang dachte man fälschlicherweise, dass der Stickstoff aus dem Chlorophyll herausgeholt und dann im Baum gespeichert wird“, sagt Kräutler. Er hat mit seinen beiden bereits verstorbenen Schweizer Kollegen Stefan Hörstensteiner und Philippe Matile aufgeklärt: Chlorophyll wird in farblose, weiterhin stickstoffhaltige Bestandteile zerlegt und mit dem Blatt abgeworfen.

Pflanzen haben nicht die Enzyme, um das komplizierte Chlorophyllmolekül vollständig abzubauen. Letztlich ist es für den einzelnen Baum auch nicht entscheidend. „Nur drei bis fünf Prozent des Stickstoffes in einem Blatt sind im Chlorophyll enthalten“, sagt Karin Krupinska. Das Gros steckt in den recycelten Proteinen.

Wenn das Chlorophyll zerlegt ist, bleiben die Carotinoide zurück. Wegen dieser Pigmente erscheinen Herbstblätter in unseren Breiten vor allem gelb. Farbenfroher ist Laub von vielen Bäumen aus Nordamerika und Asien. Verschiedene Ahornarten etwa sind intensiv rot. Diese Bäume bilden sogenannte Anthocyane in den Blättern  – und das kurz bevor diese abfallen. Es klingt nach Verschwendung, und es ist bis heute nicht sicher, warum Bäume diese Pigmente produzieren. Aber es gibt fundierte Theorien.

„Die Anthocyane werden in Breiten gebildet, wo die Intensität der Sonnenstrahlung größer ist als in Mitteleuropa“, sagt Zohner. Zwar gibt es auch in Mitteleuropa rote Laubblätter. Wenn sie aber intensiv gefärbt sind, handelt es sich um eingeführte Pflanzen. Einheimische Arten wie die der Zitterpappel sind weniger intensiv rot. „Sie könnten wie eine Art Sonnencreme wirken und die Recycling-Prozesse im Blatt schützen.“

Auf diese Funktion deutet noch mehr hin als die geografische Verteilung der roten Herbstblattfarbe. „In sonnenexponierten Blättern werden mehr Anthocyane gebildet als in solchen im Schatten“, sagt Zohner. „Wir haben in Experimenten auch Teile von sonnenexponierten alternden Blättern abgeklebt – und im Gegensatz zum Rest der Blattfläche wurden sie unter der Abdeckung nicht rot.“

Es gibt noch eine zweite Theorie, warum Bäume kurz vor dem Abwurf ihrer Blätter diese rote Farbe bilden. Einige Evolutionsforscher sind überzeugt, dass Bäume damit eine Botschaft an Blattläuse senden. Diese suchen ihr Winterquartier im Geäst. Bäume, so die Theorie, signalisieren mit der roten Blattfarbe, dass sie stark sind und Eindringlinge abwehren können. Tatsächlich wiesen Wissenschaftler nach, dass Bäume, deren Blätter im Herbst rot gefärbt waren, im kommenden Frühjahr weniger stark von Insekten befallen waren.

Anthocyane können auch beide Funktionen haben. Wegen ihrer vielfältigen Wirkung, ob gegen Fraßfeinde oder UV-Licht, und ihrer roten Farbe, bezeichnete der neuseeländische Biologe Kevin Gould, Professor an der University of Wellington, Anthocyane als „das Schweizer Messer der Blätter“.

Doch wie so vieles in der Natur verändert die Klimaerwärmung auch Färbung und Abwurf der Laubblätter. „Heute setzt die Blattfärbung früher ein“, sagt Constantin Zohner. „Gleichzeitig bleiben die Blätter durch mildere Herbste länger am Baum hängen.“ Zohner und Kollegen haben in Klimakammern die Gründe dafür ermittelt.

Während Botaniker lange annahmen, dass nur abnehmende Tageslänge und niedrige Lufttemperaturen Blattfärbung und -abwurf auslösten, konnten Zohner und Kollegen feststellen: Schon der Zeitpunkt, an dem die Blätter sprießen, hat einen Einfluss. „Jeder Tag, den ein Blatt früher austreibt, lässt die Blattfärbung durchschnittlich 0,3 Tage früher beginnen“, sagt Zohner.

Die Bäume grünen global insgesamt früher konnten die Wissenschaftler mittels Satellitendaten feststellen – wohl durch die Erderwärmung. Und fangen auch früher an, gelb zu werden. Laubblätter folgen also anscheinend einem festen Entwicklungszyklus. Welche Folgen das für die Bäume hat, ist noch nicht geklärt.

„Einerseits könnten sie durch die längere Übergangszeit mehr Nährstoffe aus den Blättern zurück in Stamm und Wurzeln einlagern – ein Vorteil für das nächste Frühjahr“, sagt Zohner. „Andererseits verlieren die Bäume während dieser Zeit weiterhin CO₂ durch Atmung, obwohl sie kaum noch Fotosynthese betreiben.“ Diesen Herbst jedenfalls gibt es wohl wieder die Möglichkeit, den Effekt zu untersuchen. Durch das warme Frühjahr begann der Blattaustrieb wieder früh. 

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