„Die Gefahr, dass Mücken exotische Krankheiten übertragen, steigt“
Jürgen May, Leiter des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin, warnt vor übertragenen Krankheiten durch Mücken. Chikungunya, Dengue und West-Nil-Virus breiten sich auch in Deutschland aus. Auch andere Erreger wie das Coronavirus bereiten dem Mediziner Sorge. Seit 125 Jahren wird an seinem Institut zu Infektionskrankheiten geforscht.
Frage: Was hat Deutschland mit Tropenkrankheiten zu tun – warum geht uns das etwas an?
Jürgen May: Auf den ersten Blick scheinen Tropenkrankheiten wie Malaria, Dengue-Fieber und Chikungunya Erkrankungen zu sein, die nur ferne Länder betreffen. Aber es gibt eine Reihe von Gründen, warum es ein Institut für Tropenmedizin auch bei uns geben sollte. Einmal ist da natürlich der humanitäre Aspekt: Wir sollten nicht nur schauen, was bei uns passiert, sondern weltweit und dort auch Hilfestellung leisten, wenn das möglich ist. Zumal wir an der Situation in diesen Ländern – soweit es sich um ehemalige deutsche Kolonien handelt – auch in der Vergangenheit mitbeteiligt waren. Aber mindestens genauso wichtig ist die medizinische Verantwortung.
Frage: Was heißt das?
May: Wir sind in Deutschland wichtiger Akteur für die globale Gesundheit. Das betrifft eben auch Forschung, Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen. Dies alles hilft, um Epidemien einzudämmen, bevor sie sich weltweit ausbreiten, also Pandemien werden. Wir haben es ja zurzeit mit einer sich verändernden Welt zu tun. Durch den Klimawandel etwa: Dadurch steigen auch in Deutschland die Temperaturen. Und die Chance, dass sich Mücken ausbreiten, die wiederum Viren übertragen können, wird größer.
Frage: Welche Gefahr geht hierzulande von einheimischen und eingewanderten Stechmücken aus?
May: Die Gefahr, dass sich hierzulande Stechmücken ausbreiten, die Viren von exotischen Krankheiten übertragen können, steigt durch den Klimawandel. Das ist bei Tigermücken der Fall, die Dengue- oder Chikungunya-Viren übertragen können. Klimaveränderungen können auch die Übertragung von Viren durch Moskitos ermöglichen, die es bei uns schon gibt. Mit dem West-Nil-Virus existiert zum Beispiel jetzt im Osten Deutschlands eine Infektionskrankheit, die es dort vor 2018 bislang nicht gegeben hat.
Frage: Eine andere Infektionskrankheit, die die vergangenen Jahre geprägt hat, war Corona. Wie ist Ihre Bilanz fünf Jahre nach der Pandemie?
May: Wir waren nicht besonders gut auf die Pandemie vorbereitet, sind aber einigermaßen gut davongekommen. Wir haben insofern „Glück“ gehabt, dass es vor allem ein Problem einer bestimmten Gruppe von Menschen war, und zwar der Älteren. Das war zwar tragisch, aber wenn es mehr die jüngeren Altersgruppen betroffen hätte, dann wäre auch – gerade weltweit – die Bilanz viel fataler gewesen. Das kann bei der nächsten Pandemie anders sein. Und dann würde man auch die Frage nach Schulschließungen ganz anders bewerten müssen. Auch weil es eben eher die Älteren, nicht die jüngeren Menschen getroffen hat, sind Afrika und andere Regionen, mit denen wir uns ja auch viel beschäftigen, einigermaßen verschont geblieben – trotz der schwachen Gesundheitssysteme.
Frage: Welche Schwächen hat die Pandemie im deutschen Gesundheitssystem offenbart?
May: Etwa den Datenschutz. Das ist zwar grundsätzlich ein hohes Gut: Aber die Folge daraus war, dass wir auch, als die Pandemie schon zwei Jahre fortgeschritten war, gar nicht so richtig wussten, wie viele Menschen eigentlich geimpft und wie sie geimpft waren und wie viele schon infiziert waren. Und deswegen fehlten uns dann immer die Informationen zu Herdenimmunität und zur Wirksamkeit der Impfung. Das ist etwas, was sich ändern muss.
Das schwerwiegendste sind jedoch die gesellschaftlichen Folgen: die Skepsis gegenüber der Wissenschaft, die Impfablehnung. Offenbar konnten wir nicht gut überzeugen. Wir hatten eine sehr gute Impfung, und trotzdem haben sie doch gar nicht so wenige Menschen abgelehnt. Darüber müssen wir uns Gedanken machen, wie man sie besser mitnehmen kann.
Frage: Ist eine Pandemie dieser Größenordnung etwas, womit ständig gerechnet werden muss?
May: Einerseits war es eine Ausnahmeerscheinung, andererseits müssen wir immer wieder damit rechnen, dass so etwas kommt. Natürlich weiß keiner, wann das sein wird. Es kann sein, dass nächstes Jahr eine andere Pandemie beginnt, etwa eine Influenza-Pandemie, aber es kann auch sein, dass es noch mal 20 Jahre dauert. Das macht es für die Politik schwierig, das ständig auf der Tagesordnung zu halten. Und das sehen wir jetzt auch, andere Dinge sind gerade akut wie die Kriege in der Ukraine oder in Gaza.
Frage: Im Vergleich zu vor 100 Jahren: Sind wir heute besser aufgestellt?
May: Wir haben etwas, was die Menschen vor 100 Jahren nicht hatten: Impfstoffe. Und wir haben oft die Möglichkeit, schnell einen Impfstoff zu konstruieren und zu produzieren – das ist unsere Rettung bei der Corona-Pandemie gewesen. Gleichzeitig ist unsere Welt globaler geworden. Wir können innerhalb von wenigen Stunden von jedem Ort der Welt zu jedem anderen Ort der Welt kommen. Insofern können sich auch Viren sehr schnell ausbreiten. Zuletzt haben wir die Massentierzucht. Dadurch verbreiten sich Vogelgrippe oder andere Infektionen schnell auch in der Tierwelt aus. Mobilität und Massentierhaltung sind durchaus größere Risiken für neue Pandemien.
Frage: Wie viele „neue Krankheiten“ erforscht das Institut denn durchschnittlich in einem Jahr?
May: So richtig „neue“ Erreger gibt es kaum. Wir kannten auch vor Covid-19 den Corona-Erreger, haben aber nicht damit gerechnet, dass der sich so plötzlich so schnell über die Welt ausbreiten kann. Aber es gibt natürlich immer Abarten von Erregern mit bestimmten Mutationen, die dazu führen, dass sie dann virulenter sind, also zu schweren Erkrankungen führen oder resistent gegen Medikamente sind. Oder neue Situationen wie bei den Affenpocken: Das ist ja kein neuer Erreger, aber wir haben eine größere Ausbreitung, weil die Menschen mit einer Pockenimpfung immer weniger werden. Sie sterben sozusagen aus. Deswegen gibt es jetzt mehr Affenpocken an Stellen, wo wir bisher nicht damit gerechnet hatten.
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