"Comfort Binge" heißt ein Phänomen, bei dem Menschen zu Wiederholungstätern werden. Eine Expertin sagt, was dahintersteckt.
 

Seitdem es Streamingplattformen gibt und die großen Anbieter unablässig neue Serien produzieren, steht eine endlose Auswahl zur Verfügung. Trotzdem greifen viele lieber zu ihren persönlichen Klassikern und das, obwohl sie sie schon zig Male gesehen haben und fast jedes Wort auswendig kennen. Oder vielleicht sogar genau deshalb?

Das psychologische Phänomen "Comfort Binge"

Ob "Gilmore Girls", "Friends", oder "Stromberg". Diese Prinzipientreue hat längst einen Namen: "Comfort Binge". Geprägt wurde der Begriff erstmals 2019 von der US-Journalistin Alexis Nedd auf der Nachrichtenseite "Mashable". Heute, fast sechs Jahre später, trifft er den Zeitgeist vermutlich mehr denn je.

Wirtschaftliche Unsicherheit, politische Spannungen, steigender Leistungsdruck im Beruf: Die Verunsicherung durch die Weltlage wächst bei vielen – und damit auch der Wunsch nach Entspannung.

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Am Abend schalten sie den Fernseher ein. Und statt sich auf Neues einzulassen und auch beim Streaming Unvorhergesehenes zu riskieren, entscheiden viele sich lieber für einen Sicherheitsanker: die eine geliebte Serie, deren Dialoge sie fast mitsprechen können, die sie nicht überrascht und ihnen genau das gibt, was sie von ihr erwarten, weil sie eben schon genau wissen, was sie erwartet. 

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Vielleicht fühlen Sie sich jetzt angesprochen, möglicherweise sogar ertappt oder einfach nur verstanden. Warum wir aus psychologischer Sicht "Comfort Bingen", weiß Psychologin Franziska Kaschub: 

"Das Belohnungssystem wird aktiviert. Also wenn wir kennen und wissen, was passiert, dann stoßen diese positiven Emotionen unser Belohnungssystem an, Dopamin wird ausgeschüttet und wir fühlen uns gut", sagt Kaschub im Gespräch mit dem stern. "Einerseits können wir so Glück und positive Emotionen erleben, andererseits vermeiden wir Unsicherheit oder Unvorhersehbarkeit. Gerade im Vergleich zu vor 20 oder 30 Jahren hat sich unsere Welt deutlich verändert und ist unsicherer geworden, das spielt für dieses Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit heute eine große Rolle."

Eine heile Serienwelt auf Abruf

Laut Kaschub kann das Phänomen auch darin bestehen, sich in vermeintlich bessere Zeiten zurückzuversetzen. Deshalb würden viele dabei bevorzugt zu Sitcoms oder älteren Serien greifen, die Nostalgie auslösen oder durch ihre zeitliche Distanz besonders weit entfernt von der eigenen Lebenswirklichkeit wirken. 

Doch auch inhaltliche oder geografische Distanz kann eine Rolle spielen: Serien, die an ganz anderen Orten, in fremden Städten oder fiktiven Welten spielen, geben ebenso das Gefühl, für einen Moment woanders zu sein.

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Während manche Menschen in humorvollen, leichten Sitcoms Geborgenheit finden, wählen andere vielleicht actionreiche Thriller. Der gemeinsame Nenner bleibt: Die Handlung ist vertraut, die Wendungen bekannt und gerade das erzeugt ein gutes Gefühl. 

"Comfort Binge" erfordert nicht die höchste Aufmerksamkeit. Die Serien laufen oft nebenbei, viele lassen sich zeitweise auch einfach vom Klang vertrauter Stimmen, Serienintros oder der Musik berieseln. Genau diese bekannten Komponenten rufen positive Erinnerungen wach und erlauben es, das emotionale Wohlgefühl "auf Knopfdruck" immer wieder neu zu erleben, erklärt die Psychologin und Coachin.

Wer verdrängt besonders gut?

Besonders anfällig für das Phänomen könnten laut Kaschub Menschen sein, die sich im Alltag schnell Sorgen machen, emotional angespannt sind oder stark von ihrer eigenen Stimmung beeinflusst werden. Aber auch Personen, die nicht gelernt haben, ihre Emotionen zuzulassen oder sich mit ihnen auseinanderzusetzen, könnten dazu neigen, ihre Gefühle lieber zu verdrängen. 

Wie Kaschub erklärt: "Was viele Leute machen, ist, sie wollen diese unangenehmen Emotionen nicht spüren und überdecken sie dann eher mit Positivem. Man kann durchaus sagen, es ist eine Verdrängungs- oder Vermeidungsstrategie. Es ist eine Art, mit dem Alltag umzugehen, der vielleicht stressig ist oder mit negativen Emotionen verbunden ist."

Wann kann "Comfort Binge" gefährlich werden? 

"Comfort Binge" birgt vor allem dann Risiken, wenn es zur einzigen Bewältigungsstrategie im Alltag wird. "Wenn du dich komplett verlierst und nur noch in dieser heilen Serienwelt lebst, ohne soziale Kontakte zu pflegen oder über Probleme zu sprechen, dann wird es kritisch. Dann ist die mentale Gesundheit gefährdet und es rutscht in einen dysfunktionalen Bereich", warnt Franziska Kaschub. 

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Sie betont auch: "Hoher Medienkonsum beeinträchtigt zudem den Schlaf, was schnell in eine Negativspirale aus Müdigkeit, Gereiztheit und sozialem Rückzug führen kann." Trotzdem sei "Comfort Binge" grundsätzlich "überhaupt nichts Verwerfliches". Entscheidend sei, neben Serien auch noch andere Wege zur Alltagsbewältigung zu nutzen.

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