Wenn die Stunden verfliegen: Wie wir unser Zeitgefühl beeinflussen können
Die Zeit ist schon eine verrückte Sache. Wenn wir auf den Bus warten oder beim Zahnarzt auf dem Behandlungsstuhl sitzen, dann fühlt sich eine Minute schnell wie eine Stunde an. Und dann gibt es wieder Momente, in denen sich mehrere Stunden wie ein Fingerschnippen anfühlen oder Aktivitäten, bei denen wir uns im Nachhinein fragen, wo die Zeit eigentlich geblieben ist.
Eine Minute ist also nicht gleich eine Minute. Wie wir Zeit wahrnehmen, das ist höchst individuell und hängt von mehreren Faktoren ab. Bestimmt kennen Sie auch das Gefühl, dass die Zeit mit zunehmendem Alter immer schneller zu vergehen scheint. Das liegt einerseits daran, dass wir immer seltener neue Dinge machen. Und – da ist sich die Forschung mittlerweile sicher – wenn wir Neues erleben, dann kommt uns das in der Rückschau so vor, als sei die Zeit währenddessen langsamer vergangen.

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Von ersten Malen zu Routinen
Das Gedächtnis spielt eine große Rolle bei unserer Zeitwahrnehmung. Der Psychologe Marc Wittmann hat darüber ein ganzes Buch namens "Gefühlte Zeit" geschrieben. Darin beschreibt er unter anderem, dass sich vor allem Erfahrungen, die neu, spannend oder emotional sind, in unserem Zeitgedächtnis einprägen. Das sei auch der Grund, wieso Erwachsene sich oft gut an ihre Jugend erinnern können, während sie darüber nachdenken, was sie letzte Woche eigentlich gemacht haben.
Im Laufe des Erwachsenwerdens, wenn sich immer mehr Routinen einschleichen und die vielen "ersten Male" der Jugend langsam ablösen, vergeht die Zeit dann gefühlt immer schneller – weil das Gedächtnis Gewohnheiten nicht so akribisch abgespeichert, wie neue Reize. Statt einen detailgetreuen Film bekommen wir daher nur noch die Highlights unseres Lebens vorgespielt. Und haben das Gefühl, die Zeit rennt uns regelrecht davon.
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Neben der Tatsache, dass wir schlichtweg nicht mehr so viel erleben, spielen aber auch neurobiologische Faktoren eine Rolle bei der Verschiebung unserer Zeitwahrnehmung. Laut einer Studie der Duke University sorgt die zunehmende Komplexität unseres Nervensystems dafür, dass wir nicht mehr so viele Reize aufnehmen, wie in jungen Jahren. Und die geringere Summe an Eindrücken, die es ins Gedächtnis schaffen, erweckt den Eindruck, dass die Zeit vergeht, wie im Flug.
Wo ist mein Zeitgefühl hin?
Aber nicht nur das Erwachsensein per se beeinflusst unsere Zeitwahrnehmung. Auch unsere Gene tun das. "Auch Tiere und kleine Kinder können bereits Unterschiede in der Dauer von Reizen wahrnehmen. Daher kann man davon ausgehen, dass die Wahrnehmung von Zeit angeboren ist", schreibt Wissenschaftlerin Isabelle Winkler von der TU Chemnitz in einem Beitrag auf der Webseite der Universität. Sie erforscht seit Jahren unsere Zeitwahrnehmung.
Ihr Erklärungsansatz dreht sich aber um weitaus mehr als um das zunehmende Alter: "Ein Faktor ist das sogenannte Arousal, also körperliche oder emotionale Aktivierung. Ist jemand sehr aktiviert, kommt der Person die Dauer länger vor." Das ist zum Beispiel der Fall, wenn wir gerade Stress haben oder körperlicher Aktivität nachgehen. Ein hohes Arousal führe dazu, dass unsere innere Uhr mehr Takte produziert. "Wenn die Aufmerksamkeit hingegen auf der Zeit liegt, dann ist das Zeitempfinden intensiver." Zum Beispiel also dann, wenn wir warten und ständig auf die Uhr schauen.
Auf die Uhr fokussieren wir uns meistens dann, wenn wir Langeweile haben. In Momenten, in denen wir glücklich sind, kommt das so gut wie nie vor. Im Gegenteil: Oft bekommen wir beim Blick auf die Uhr einen Schreck, weil wir das Zeitgefühl komplett verloren haben. Schuld daran ist das Glückshormon Dopamin. Je mehr wir einen Augenblick genießen, desto schneller vergeht er also subjektiv betrachtet.
Was uns wirklich im Gedächtnis bleibt
Zusammengefasst kann man sagen, die Zeit vergeht schneller, wenn wir etwas tun, das uns glücklich macht, neu für uns ist oder uns körperlich und emotional fordert. Das sind aber eben auch die Momente, die uns später m Rückblick viel länger in Erinnerung bleiben als eben jene, in denen wir dem Sekundenzeiger bei seiner Runde zusehen und die Zeit sich wie Kaugummi zu ziehen scheint. Die landen im Zweifel nicht einmal im Langzeitgedächtnis und geraten so schnell in Vergessenheit.

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Wie aber können wir nun unser Zeitgefühl gezielt beeinflussen, damit uns die Lebenszeit nicht davonrennt? Der erste Schritt ist sicher, neben wichtigen und richtigen Routinen und Gewohnheiten auch immer mal wieder Raum für neue Erlebnisse und Erfahrungen zu lassen. Nehmen Sie sich zum Beispiel vor, einmal im Monat etwas Neues auszuprobieren oder gezielt neue Menschen kennenzulernen. Das kann die gefühlte Zeit verzögern.
Wenn die Zeit stillsteht
Manchmal gibt es aber auch Momente, in denen wir nur zu gerne die Zeit anhalten würden. Gerade dann vergeht sie aber umso schneller. Da unser Körpergefühl eng mit dem Zeitgefühl verbunden ist, gibt es dafür zwei einfache Methoden, die zumindest kurze Zwischenstopps erlauben. Einerseits kann es helfen, ein paar Sekunden bewusst zu atmen und auf seinen Herzschlag zu hören. Damit holt man sich emotional aus der Situation und erdet auch die subjektive Zeitwahrnehmung.
Wem das nicht reicht, der kann einen mentalen Schnappschuss machen. Dabei versucht man, den Moment einmal mit allen Sinnen wahrzunehmen und ein Foto davon im Kopf zu machen. Durch die intensive Auseinandersetzung mit der Situation bleibt die Zeit gefühlt stehen – zumindest für diesen einen Augenblick.

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Keine Sorge, wir haben auch die ätzenden Wartezeiten nicht vergessen, in denen die Zeit uns einen Streich spielt und einfach nicht vergehen möchte. In diesen Situationen hilft vor allem eines: Ablenkung. Wenn wir auf dem Smartphone spielen, uns mit anderen Menschen unterhalten oder Musik hören, dann geben wir der Zeit zumindest einen kleinen Schubser in die richtige Richtung. Und wenn das nicht klappt, dann haben wir das Ganze in unserem Gedächtnis eh bald wieder mit schönen Momenten überspielt.
Quelle: TU Chemnitz, "Gefühlte Zeit" von Marc Wittmann, Studie der Cambridge University
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