Virale Infektionen – „Entzündliche Prozesse können schlafende Tumorzellen wecken“
Der Verdacht bestand schon länger – nun will ein Forschungsteam ihn gleich zweifach für Brustkrebs belegt haben: Demnach können virale Infektionen der Atemwege „schlafende“ Krebszellen aktivieren und damit zur Bildung von Metastasen in der Lunge beitragen. Das berichtet ein Forschungsteam aus den USA und Großbritannien nach Versuchen an Mäusen. Es stützt sich jedoch vor allem auf genetisch veränderte Mäuse mit schlafenden Brustkrebs-Tumorzellen. Ob die Ergebnisse auf Menschen übertragbar sind, ist bislang nicht sicher.
Die Gruppe um James DeGregori von der University of Colorado in Aurora zeigt im Fachjournal „Nature“ nicht nur einen Zusammenhang auf, sondern beleuchtet auch die zugrundeliegenden Mechanismen. Hellmut Augustin vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist von dem Ergebnis nicht überrascht, von dem gelungenen Nachweis hingegen schon. „Entzündliche Prozesse können schlafende Tumorzellen wecken“, sagt der Heidelberger Experte für vaskuläre Onkologie und Metastasierung, der nicht an der Studie beteiligt war. Den Zusammenhang habe man in dieser Präzision noch nie gezeigt.
Der zweite Teil der Studie befasst sich mit der Übertragbarkeit auf den Menschen. Nach Auswertung epidemiologischer Daten aus der Zeit der Corona-Pandemie schreibt die Forschungsgruppe, eine Sars-CoV-2-Infektion könne bei Krebs-Überlebenden das Sterberisiko möglicherweise um nahezu das Doppelte steigern. Diese Interpretation überzeugt den DKFZ-Epidemiologen Rudolf Kaaks wiederum nicht: „Diese Studie enthält etliche Mängel.“
Krebs-Sterberaten stiegen nach Corona-Pandemie
Aber der Reihe nach: Brustkrebs ist bei Frauen die häufigste Tumorerkrankung. In Deutschland erkranken daran pro Jahr rund 75.000 Menschen – 99 Prozent davon sind Frauen. Knapp 19.000 Menschen starben hierzulande 2022 an dem Krebsleiden. Generell würden die meisten der Todesfälle auf metastasierte Erkrankungen entfallen, schreibt nun die Forschergruppe. Diese folgten oft – etwa nach einer Therapie – auf jahrelange klinisch unauffällige Phasen.
Das Team untersuchte deshalb, was schlafende Tumorzellen aktiviert. Was sind die Trigger? Die Vermutung, dass Entzündungsprozesse dazu beitragen, bestand schon lange. Dazu passe, dass die registrierten krebsbedingten Sterberaten in den ersten beiden Jahren der Corona-Pandemie anstiegen – und zwar über jenes Maß hinaus, das sich auf verzögerte Diagnosen und Therapien zurückführen lasse, erklären Studienautoren. Möglicherweise, so ihre Vermutung, haben Sars-CoV-2-Infektionen in der Lunge zur Entwicklung von Metastasen beigetragen.
Diesen Verdacht prüfte das Team unter anderen an genetisch veränderten Mäusen, die als Modellorganismen für eine bestimmte Brustkrebsform gezüchtet werden, mit schlafenden Brustkrebs-Tumorzellen. Die Tiere wurden mit Influenza A-Viren infiziert, erholten sich aber binnen zwölf Tagen wieder. Während die Lungen der Tiere vorher nur vereinzelte Krebszellen aufwiesen, stieg die Metastasenlast binnen etwa zwei Wochen nach der Infektion um den Faktor 100 bis 1000 – und blieb über Monate erhöht.
Analysen ergaben, dass der entzündungsfördernde Botenstoff Interleukin-6 (IL-6) anfänglich maßgeblich an der Aktivierung der schlafenden Krebszellen beteiligt war. Eine Metastasen-fördernde Wirkung bei Mäusen fand das Team nicht nur nach einer Influenza-Infektion, sondern auch nach Infektionen mit dem Covid-19-Erreger Sars-CoV-2.
„Die tierexperimentellen Untersuchungen konnten den grundsätzlichen Nachweis für einen Zusammenhang von Atemwegsinfektionen und Metastasenwachstum ermitteln“, sagt DKFZ-Forscher Augustin. „Das macht es wahrscheinlich, dass die gleichen Mechanismen auch im Menschen aktiv sind.“
Eine Covid-Infektion steigerte das Sterberisiko
Ob der im Tierversuch beobachtete Effekt auch beim Menschen auftritt, prüfte die amerikanisch-britische Forschungsgruppe dann anhand der Gesundheitsdaten aus zwei „Biobanken“. Dabei setzten die Wissenschaftler auf den Umstand, dass Infektionen mit dem Covid-19-Erreger in den ersten Jahren der Pandemie weitverbreitet waren – und systematisch erfasst wurden. Um Effekte durch Impfungen und fehlerhafte Selbsttests auszuschließen, flossen nur Daten von Krebs-Überlebenden mit Corona-Infektionen bis Dezember 2020 ein.
An die 4800 Patienten zum Beispiel, deren Daten in der britische „UK-Biobank“ gespeichert werden, hatten ihre erste Krebsdiagnose vor dem Jahr 2015 erhalten. Dieses Auswahlkriterium für die Studien sollte sicherstellen, dass sie die anfängliche Erkrankung überstanden hatten.
Die Analyse der 128 Krebs-bedingten Todesfälle in dieser Gruppe bis Januar 2022 deute darauf hin, dass eine Sars-CoV-2-Infektion das Sterberisiko nahezu verdoppelte, heißt es jetzt in der „Nature“-Veröffentlichung. Eine zweite Analyse einer anderen, auf den Daten von knapp 38.000 Menschen basierenden Sammlung ergab, dass eine Covid-19-Erkrankung von Brustkrebs-Patientinnen die Wahrscheinlichkeit für Metastasen in der Lunge um gut 40 Prozent erhöhte. „Insgesamt unterstreichen diese Resultate das bedeutende Metastasen-Risiko, das für Krebs-Überlebende mit Covid-19 einhergeht“, berichten die Studienautoren.
Der DKFZ-Epidemiologe Kaaks hegt allerdings Zweifel an dieser Interpretation. So enthalte die UK-Biobank-Gruppe Menschen mit verschiedensten Tumorerkrankungen – nicht nur mit Brustkrebs. Kaaks kritisiert außerdem, dass die primäre Todesursache nicht gesichert sei: So könnten tatsächliche Corona-Todesfälle als Krebstod gewertet worden sein – diese Unterscheidung sei für einen Hausarzt beim Ausfüllen des Todesscheins nicht trivial. Zudem sei nicht belegt, ob überhaupt Lungenmetastasen vorhanden waren.
Schwächen der Studie
Die Gruppe der zweiten herangezogenen Datenbank umfasst zwar nur Brustkrebs-Patientinnen. Allerdings könnte es hier eine statistische Verzerrung geben: Es sei durchaus denkbar, dass bei Frauen mit einer Covid-19-Erkrankung eher die Lunge untersucht worden sei als bei den Covid-negativen Frauen. Schon dadurch, meint der Epidemiologe, könnten bei diesen Teilnehmerinnen vermehrt Lungenmetastasen gefunden worden sein.
Eine weitere Schwäche: Wie viele der 532 Corona-infizierten Teilnehmerinnen überhaupt Metastasen in der Lunge bildeten, dazu gibt es keinerlei Information. Aus epidemiologischer Sicht ist dieser Teil der Studie nicht überzeugend, so das Fazit von Kaaks.
„Aus meiner Sicht erlauben die in der Publikation berichteten epidemiologischen Analysen (...) die gezogenen Schlussfolgerungen nicht“, sagt auch der Epidemiologe André Karch vom Universitätsklinikum Münster. Es sei unstrittig, dass Infektionen den Verlauf einer bestehenden aktiven Krebserkrankung negativ beeinflussen. „Genau das zeigen aus meiner Sicht die durchgeführten epidemiologischen Analysen im besten Fall – wenn die Ergebnisse nicht auf andere oben genannte Verzerrungen zurückzuführen sind“, erklärt Karch. Um die eigentliche Hypothese des Teams epidemiologisch untermauern zu können, „wären deutlich anspruchsvollere Analysen notwendig“.
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