„Mitunter entwickelt sich eine Hochbegabung erst im Laufe eines Lebens“
Ob charismatischer High-Performer, abgehobenes Genie oder nerdy Eigenbrötlerin: Hochbegabte sind häufig mit Klischees konfrontiert. Woran man Hochbegabung erkennt, wie sie sich auf das Berufsleben auswirkt und warum die betroffenen Menschen so oft missverstanden werden.
„Als hochbegabt gelten Menschen mit einem Intelligenzquotienten von 130 und darüber“, sagt Sybille Beyer vom Hochbegabtenverein Mensa in Deutschland. Soweit die Zahlen. Ungefähr zwei Prozent der Bevölkerung sind laut Mensa hochbegabt – demnach leben bei 84 Millionen Menschen in Deutschland rund 1,7 Millionen Hochbegabte hierzulande. Hinweise für eine Hochbegabung seien eine schnelle Auffassungsgabe, ein ausgeprägtes Interesse an komplexen Themen und eine sehr gute Beobachtungsgabe.
Zudem zeichnen sich solche Menschen durch die Fähigkeit aus, überdurchschnittliche Leistungen erbringen zu können. Das kann auf intellektueller Ebene, das kann aber etwa auch im handwerklichen oder im technischen Bereich sein. „Mitunter entwickelt sich eine Hochbegabung in einem bestimmten Bereich erst im Laufe eines Lebens“, so die Wiesbadener Psychologin und Begabungsforscherin Prof. Tanja Gabriele Baudson.
Baudson erklärt, dass Hochbegabte oft in der Lage sind, schnell hochkomplexe Sachverhalte zu analysieren. „Häufig leisten sie mehr als andere und trauen sich auch mehr zu“, so die Wissenschaftlerin.
Mitunter sind Hochbegabte wenig bereit, Ineffizienz im Job zu akzeptieren. „Und häufig müssen sie für sich einen Gang herunterschalten, um innerhalb eines Teams nicht allzu auffällig zu agieren“, sagt Sybille Beyer. In der Folge kann es passieren, dass sie nicht wirklich authentisch sind und wertvolles Potenzial ausgebremst wird.
„Hochbegabte gelten zumeist als Überflieger“, sagt Baudson. Also als Menschen, die quasi alles können und wissen und hochbegabt in jedem Bereich sind. Das sei aber in der Regel nicht der Fall, so die Forscherin.
Zudem werde Hochbegabten nachgesagt, soziale und emotionale Schwierigkeiten zu haben. Angeblich sollen sie generell Probleme haben, sich in ihrem Umfeld zurechtzufinden und normale zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen. „Für solche generellen Aussagen gibt es jedoch keinerlei wissenschaftliche Belege“, stellt Baudson klar.
Besondere Belastung im Berufsalltag
Eine der Herausforderungen kann Langeweile sein. Hochbegabte empfinden den Joballtag unter Umständen schnell als wenig abwechslungsreich, wenn sie keine ihren Fähigkeiten entsprechenden Aufgaben haben. So können sie sich unterfordert fühlen.
Manche Hochbegabte können aber auch überfordert sein, weil sie Schwierigkeiten haben, Aufgaben mit einem hohen Qualitätsanspruch an andere im Team zu delegieren. „Die Folgen davon können Überlastung, Stress und Unzufriedenheit, aber auch Isolation sein“, sagt Beyer.
Teils kann es zwischenmenschlich gewisse Hürden geben. „Manche Menschen, die hochbegabt sind, klagen, dass sie auf andere seltsam wirken“, sagt Beyer. Etwa, wenn sie ständig neue Ideen haben und überzeugt sind, dass der Arbeitgeber sie nicht schnell genug umsetzt. Es kann vorkommen, dass andere irritiert reagieren, wenn sie der schnellen Denkweise von Hochbegabten nicht folgen können.
Hinzu kommt: Manche erfahren von ihrem hohen IQ erst spät in ihrem Leben, einige sogar erst im Alter von über 50. Oft haben sie sich über viele Jahre hinweg gefragt, was sie bloß falsch machen, dass sie im Berufsleben häufig mit anderen anecken – und machen eine Therapie nach der anderen.
Wer seinen eigenen Intelligenzquotienten testen will, findet dazu im Internet massenhaft Angebote. Doch nicht alle sind seriös. Viele davon erwecken beispielsweise zunächst den Anschein, kostenfrei zu sein – sind es laut dem Verbraucherschutzportal „Watchlist Internet“ aber nicht.
So sei es nicht untypisch, dass man viele Fragen beantwortet, die Konzentration und Zeit in Anspruch nehmen. Um das Ergebnis zu erhalten, soll man am Ende aber plötzlich einen meist kleinen Betrag zahlen, hinter dem sich – wenn man das Kleingedruckte liest – dann ein Abo versteckt. Außerdem würden viele Tests nicht die Standards für einen Intelligenztest erfüllen.
Wer Hinweise darauf hat, hochbegabt zu sein, also einen IQ von über 130 zu haben, kann sich etwa auf der Website des Hochbegabtenvereins Mensa in Deutschland zu einem Intelligenztest anmelden. Gut zu wissen: Kostenlos ist auch dieser Test nicht.
Geprüft werden Bereiche wie Sprach- und Zahlenkompetenz, Gedächtnisleistung und räumliches Vorstellungsvermögen. Voraussetzungen sind sehr gute Deutschkenntnisse und ein Mindestalter von 14 Jahren. Wirklich zuverlässig könne den IQ aber „nur ein speziell ausgebildeter Psychologe“ über verschiedene Intelligenztests ermitteln, sagt Mensa-Sprecherin Beyer.
Strategien für Betroffene
Um im Alltag mit Überforderung, Unterforderung oder Isolation im Job umzugehen können verschiedene Strategien helfen. „Eine Strategie kann sein, dass Hochbegabte ihrem regulären Job nachgehen und nach Feierabend ihre Hochbegabung ausleben“, sagt Beyer. Beispielsweise, indem sie an einer Innovation tüfteln. Eine andere Option: Sie engagieren sich in ihrer Freizeit in dem Bereich, in dem sie hochbegabt sind, ehrenamtlich. Konkret heißt das, dass sie sich im Joballtag bewusst zurücknehmen und unauffällig agieren.
Allgemein empfiehlt Beyer eine gesunde Work-Life-Balance. Regelmäßige Bewegung und Entspannungstechniken wie Yoga können ebenso dazu beitragen, Stress abzubauen wie der Austausch mit anderen hochbegabten Menschen. Wenn Überlastung und Unzufriedenheit überhandnehmen, ist es Zeit, über einen Abteilungs- oder Jobwechsel nachzudenken.
Wichtig: Eine Hochbegabung bedeutet nicht automatisch, dass es Schwierigkeiten am Arbeitsplatz gibt. Es gibt viele Hochbegabte, die sich mühelos in einem Team einfinden – auch wenn sie sich womöglich im Arbeitsalltag zurücknehmen. „Und dann gibt es auch solche, die frühzeitig Anschluss an Menschen auf dem eigenen Niveau gefunden haben und dadurch akzeptiert sind“, so Beyer.
Für Hochbegabte, die sich auf eine neue Arbeitsstelle bewerben, hat Tanja Gabriele Baudson noch eine Empfehlung. Dort sei es wenig sinnvoll, die eine Hochbegabung offen zu thematisieren. Dadurch könne sich auf Ebene der Führungskräfte schnell ein Gefühl entwickeln, dem Bewerber oder der Bewerberin unterlegen zu sein – wodurch die Chance auf Einstellung gen Null sinken könnte. Was aber sinnvoll ist: Bislang erbrachte gute Leistungen zu benennen und „nicht unter den Tisch kehren“, so die Professorin.
Sie rät auch davon ab, im Team einen hohen IQ offenzulegen. „Das kann bei anderen Neid und Spott auslösen – und das muss nicht sein.“
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